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Altes Museum Berlin

Kunsthistorischer Rundgang im alten Museum Berlin am 4.2.2017

 
 

 

 

Das Alte Museum Berlin sieht im Winter eher steinig und kalt aus, vor allem wenn Winterfrost herrscht und Nebelschwaden vorbeiziehen. Auch im Innern vorwiegend steinig, zwar in verschiedenen Formen, aber eben doch steinern und stumm ....... käme da nicht Thorsten flugs herbei. Er hatte Kunstgeschichte studiert und arbeitet an seiner Doktorarbeit zum Thema: Schmelztiegel Rom - Von Fremden lernen. Unter Thorsten beginnen die Steine zu sprechen. Wer an seinem kommentierten Rundgang teilnimmt, trippelt von einem Aha-Erlebnis ins nächste.

 

 

Die Etrusker

Sie selbst nannten sich Rasenna, von den Griechen wurden sie als Thyrrhenoi angesprochen und von den Römern als Tusci bezeichnet. Aha-Erlebnis 1: Die der Adria gegenüberliegende Küste heisst Thyrrenisches Meer, weil dort die Thyrrhenoi lebten. Aha-Erlebnis 2: Die heutige Gegend um Florenz heisst Toscana, weil die Römer dort die Tusci lebten.

 

 

Die Etrusker waren die bedeutendste vorrömische Zivilisation Italiens. Sie waren im 8. Jh. v.Chr. antike Immigranten aus dem griechischen und ägyptischen Kulturraum. Darum waren sie auch sehr offen gegenüber kulturellen Leistungen aus dem östlichen Mittelmeerraum. Die gesellschaftspolitischen und philosophischen Gedanken aus Griechenland führten die Etrusker zu einer städtischen Gesellschaftsstruktur. Reiche Erzvorkommen auf der Insel Elba, bei Populonia* und in den Tolfa-Bergen verhalfen ihnen zu einer positiven Handelsbilanz und zu beachtlichem Wohlstand. Dieser wiederum vermochte Kunsthandwerker und Künstler zu finanzieren, welche die uns heute bekannten, typisch etruskischen Kunstwerke hervorbrachten. Die nebenstehende Karte zeigt deutlich die Anlandungszone dieser antiken Immigranten und ihre Ausdehnungsgebiete.

 

 

*) Die auch Fufluna genannte Stadt Populonia war das größte Zentrum der Eisenverarbeitung des gesamten Mittelmeerraumes. Dort wurde das Eisenerz verhüttet, das von der nahe gelegenen Insel Elba stammte und im Hafen an der Bucht von Baratti angelandet wurde.

 
 

Als wir im Jahr 2005 mit unsern Söhnen im Auto zu Freunden in Süditalien fuhren, hatten wir in Volterra übernachtet und dort die hohen Wohntürme der herrschenden Familien gesehen. Damals ahnten wir noch nicht, dass uns zwölf Jahre später der Kunsthistoriker Thorsten im Alten Museum von Berlin erklärte, dass die Zurschaustellung politischer Macht auf die griechische Staatsauffassung zurückgeführt werden kann (Aha-Erlebnis 3).

Zwei Alabaster-Schälchen in unserem Haushalt erinnern uns noch heute an diesen Besuch in Volterra.

 

 

Die Erzverarbeitung hatten die Etrusker von den Phöniziern gelernt und weiterentwickelt. Das Mittelmeer war ihre Freihandelszone und erschloss ihnen einen internationalen Handelsraum, in dem die Nachfrage nach Eisen nicht zu decken war. Der Vorteil der Preisbildung lag eindeutig auf Seiten der Etrusker. Der Handel blühte und dehnte sich auf Wein und Oliven aus, was natürlich auch die Töpfereien beflügelte, denn im Gegensatz zu Eisen benötigten Wein und Oliven Transportgefässe. Kein Wunder, dass Tonwaren auch kunsthandwerklich veredelt wurden und im wohlhabenden etruskischen Wohnraum Eingang fanden.

 

 

Noch nach seinem Ableben zeigt dieser Etrusker mit seinem entblössten Oberkörper den Wohlstand, in welchem er sein Leben führen konnte.

Aufschlussreich ist das Relief dieser Urne. Es zeigt, wie sich der Mann von Frau und Kind verabschiedet, bevor er in die Unterwelt hinabsteigt, begleite von den Geistern des Hades, die im Rücken der Frau bereits auf ihren Mann warten.

Diese Darstellung bezeugt, dass die Etrusker im griechischen Weltbild und Glauben verwurzelt waren. Wären sie ägyptischer Abstammung gewesen, wäre dieser Etrusker wohl einbalsamiert und eingesargt worden, wie uns unser Museumsführer im nächsten Saal zeigte.

Doch zuerst erzählte er uns aus der griechischen Sagenwelt, dass Hades keine Göttin zu bewegen vermochte, mit ihm im Tartaros zu leben. So bemächtigte er sich durch Brautraub der Persephone, Tochter von Zeus und Demeter. Ihre Mutter Demeter erflehte sie von Zeus zurück. Dieser entschied, dass Persephone jedes Frühjahr ihrer Mutter für ein halbes Jahr wieder überlassen werden müsse.

 

 

Aha-Erlebnis 4: Die Demeter-Produkte, denen wir in Reformhäusern und anderen Spezialgeschäften begegnet sind und die der Bruder von Bernadette in der Molkerei des Ekkharthofes im thurgauischen Lengwil hergestellt hatte, berufen sich auf speziellen biologisch-dynamischen Landbau. Ihr Label nennt sich nicht nach einem speziellen Metermass, sondern nach der griechischen Göttin der Fruchtbarkeit.

 

 

Grabrelief des Publius Aiedius Amphio und seiner Frau Aiedia,  Rom , Via Appia,  Marmor, 30 vor Chr.

Dieses Kastenrelief gehörte zu Grabbauten freigelassener Sklaven, die das Bürgerrecht erhalten hatten und sozial arrivierten. Die Toga, ihre Kleidung,  zeigt ihren erreichten sozialen Status. Die ineinander gelegten Hände besagen, dass die zwei verheiratet waren. Im Gesicht lässt sich der Alterunterschied zwischen Mann und Frau erkennen. Der Gesichtsausdruck könnte auf ein naturgetreues Abbild schliessen lassen. Unser Museumsführer zeigte uns an Vergleichsbeispielen jedoch auf, dass die Gesichter bestimmte Typen wiedergeben, die sich wiederholen.

 

 

Als nächstes zeigte uns Thorsten, unser Museumsführer, eine Serapis-Büste und erzählte, wie der Serapis-Kult mithalf, in der Multi-Kulti Gesellschaft Vorderasiens die religiösen Meinungsverschiedenheiten zu überbrücken.

 

 

Ptolemaios I. (367/66 - 283/282 v. Chr.) war einer der Generäle Alexanders des Großen und dessen Freund. Als das Diadochenreich Alexanders nach dessen Tod 322 v.Chr. zerfiel, gelang es Ptolemaios, sich im Nilgebiet zu etablieren. Gegenüber seinen Konkurrenten schuf er das wirtschaftlich reichste und am besten geordnete Reich, das seine beiden gleichnamigen Nachfolger zur vorherrschenden Macht im östlichen Mittelmeerraum führten. Alexandria wurde zum kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Zentrum der hellenistischen Welt (Aha-Erlebnis 5). Als Politik der Integration von Aegyptern, Makkedonen und Griechen stiftete er den Serapis-Kult, der die ägyptische und griechische Götterwelt vereinte.

Die äußere Erscheinungsform von Serapis wurde hauptsächlich Zeus angepasst, da die Darstellung als mumifizierte Gottheit nicht den Vorstellungen der Griechen entsprach. In seiner symbolischen Darstellung als Stier entsprach er aber auch dem ägyptischen Gott Osiris. Als Frau stellte man ihm die ägyptische Göttin Isis zur Seite, welche ebenso die Eigenschaften der griechischen Göttin Demeter verkörperte. Serapis entwickelte sich zum Universal- und Schutzgott der Ptolemäer.

 

 

Auf unserem Museumsrundgang begegneten wir diesem Oberbeamten im Serapis Kult. Es ist ein Marmorkopf, etwa um 230 - 240 n.Chr. entstanden. Der Kopfreif mit der siebenstrahligen Sonnenscheibe verrät, dass der Dargestellte ein Neokoros, ein Tempelwächter im griechisch-ägyptischen Serapis-Kult gewesen ist. Er war wahrscheinlich in einem sakralen Bereich in Ägypten aufgestellt.

 

Es waren noch zahlreiche steinerne Köpfe ohne Rumpf ausgestellt. Wahrscheinlich sind sie beim Sturz eines Standbildes als Ganzes davongekullert, ohne zu zerbrechen. Der Kunsthistoriker hatte aber noch eine andere Erklärung: Im Verlauf der Zeiten mussten die Standbilder an die geänderten Machtverhältnisse und Repräsentationsbedürfnisse angepasst werden. War es da nicht kostengünstiger, dem alten Standbild einfach einen neuen Kopf aufzusetzen? Tatsächlich ist erkennbar, dass der Rumpfteil im Bereich der Schultern eine Vertiefung aufwies, in welche problemlos der Hals eines neuen Kopfes hineinpasste. Eine antike Ausprägung von Köpfe-rollen. (Aha-Erlebnis 6)

 

 

Schliesslich begegneten wir noch dem

"Berliner Hermaphrodit",

einem Marmor-Standbild, das um 120-140 n. Chr. entstanden sein dürfte. Das Standbild ist bei seiner Restaurierung in allen Fehlstellen mit modernem Material ergänzt worden.

"Hermaphroditos", einen Zwitter mit weiblichen Brüsten und männlichen Geschlechtsteilen, ist nach griechischem Mythos der Sohn von Hermes und Aphrodite. Er verkörpert das Prinzip der Instabilität sexueller Identität und intersexuelle Schönheit. Auf dem Kopf trägt er die Mithra, ein Frauen-Kopftuch.

Ganz offensichtlich war die Erscheinung intersexueller Körper und der Wunsch der Transsexualität bereits in der Antike eine gesellschaftlich relevantes Thema. Wie elegant, es über religiöse Mythen und bildliche Darstellungen von Göttern besprechen und gesellschaftlich positionieren zu können. Die in aller körperlicher Schönheit ausgeführte Darstellung deutet jedenfalls nicht darauf hin, dass dieses Thema in der Antike tabuisiert gewesen war. (Aha-Erlebnis 7)

Anhand dieses griechischen Standbildes wies uns Thorsten auch auf die natürliche Haltung mit Stand- und Spielbein hin. Bei den ägyptischen Standbildern wirkt dies viel steifer und dient vor allem der symbolischen Positionierung zwischen Totenreich und Lebenswelt. (Aha-Erlebnis 8)

 
 

Von all den Ausstellungsgegenständen haben wir nur eine kleine Hand voll näher angeschaut und uns erklären lassen. Hunderte von Unbekannten warten noch auf uns. Abschreckend? Auf dem Rückweg zum Ausgang sind wir noch einmal durch die besuchten Hallen geschritten und haben die paar Einzelstücke wieder erkannt, die uns Thorsten mit seinem Erklärungen näher gebracht hat. Es war wie ein Befreunden mit diesen stummen Zeugen der Antike. Von Einzelstücken kennen wir nur einen Zipfel ihrer Geschichte, und der ist sowohl spannend wie auch hochaktuell. Es sind unsere Bekannte geworden. Vielleicht gehen wir sie wieder einmal besuchen.

 
     
 

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 aktualisiert: 9.2.2017 / BG & hg