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Unsere Drei-Länder-Reise         Mai / Juni 2016

 

 

Am ersten Mai ist in Frankreich Ruhetag. Die Schleusen werden nicht bedient. Also blieben wir schön ruhig im Hafen von Toul liegen und genossen mit der schweizerischen Crew vom Schiff Demi-Sec, Susan und Hugo, einen heimatlichen Zvieri mit - wie könnte es anders sein - Luzerner Lebkuchen und geschlagener Sahne.

 

 

Kathedrale von Toul

 

 

Auf unserer Weiterfahrt trafen wir in Pagny-sur-Meuse auf Skulpturen, die zum Millenniumswechsel aufgestellt worden waren,

 

 

u.a. in einem Spiel-Park "Der Rollschuhfahrer" ...

und vorm Bahnhof "Die grosse Reise"; wie passend.

 

 

 

 

In Commercy lernten wir ein weiteres Schloss von König Stanislaus I. Leszczynski, dem Schwiegervater von Louis XV, dem König von Frankreich,  kennen. Er nutzte das Schloss als Nebenresidenz zu seiner Hauptresidenz in Lunéville. Dieses hatte ihm sein königlicher Schwiegervater zugewiesen, nachdem er ein weiteres Mal aus Polen flüchten musste. Später übersiedelte Stanislaus nach Nancy. Dort hatte uns seine Prunkliebe bereits auf einer früheren Reise mit dem Gebäude-Ensemble rund um den Place Stanislas entzückt.

 

 

 

 

In Commercy haben wir auch die schöne Geschichte von den feinen "Madeleines", einem Gebäck, das angeblich hier seinen Ursprung habe, gehört:

Im Schloss machten die feinen Herrschaften wieder Mal ein Fest. Alle Lebensmittel waren knapp. Trotzdem wollte der König seiner vornehmen Gesellschaft eine Nachspeise anbieten. Die Köche des Hofes standen unter Druck, denn ihnen fehlte es an Zutaten. Da erinnerte sich eine junge Küchenmagd an das Rezept ihrer Grossmutter. Aus Butter, Mehl und Eier buck sie kleine Küchlein. Die Damen und Herren am Hof fanden sie prima und wollten den Namen dieses Gebäcks wissen. Man liess nach der Magd rufen. Doch sie kannte für das Rezept keinen Namen. Da fragte der König nach ihrem eigenen Namen. Sie hiess Madeleine. Darauf verfügte der König, dass das Gebäck künftig "Madeleine" hiesse und in die Hofrezeptsammlung Eingang finden sollte.

In der Conditorei "À la Cloche Lorraine" in Commercy wird den Touristen noch heute live vorgeführt, wie Madeleines hergestellt werden. Sie können ofenfrisch degustiert und anschliessend in mannigfaltiger Verpackung auch gekauft werden. Die Produktion der Madeleines für den Weltmarkt erfolgt in Produktionsstätten in der Zone industrielle am Rande von Commercy.

 

 

In der Backdemonstration haben wir gelernt, dass die Madeleines ganz heiss gebacken werden. Dank Unterhitze von 240° werden sie goldbraun und dank Oberhitze von 220° können sich die oberen Hälften so schön ausbuchten und bleiben farblich etwas blonder.

L e c k e r ! ! !

 

 

 
 

Es war Mai. Die Vögel zwitscherten, die Knospen trieben aus und vielerorts fesselten Kirschblüten unsere Aufmerksamkeit, wenn wir auf unseren morgendlichen Fitnessrunden die Kanalumgebung erkundeten.

 
 

 
 

In Saint-Mihiel trafen wir erneut Nico und Ianne auf ihrem Schiff Liane. Seit Toul wussten wir, dass sie auf der gleichen Strecke unterwegs waren. Von Saint-Mihiel bis Dun-sur-Meuse mit Zwischenhalt in Verdun fuhren sie uns voraus. Dann liessen wir sie ziehen, denn sie wurden schon zehn Tage früher in Maasbracht erwartet als wir.

 
 

 
 

 
 

An gewissen Kanalstellen trafen wir wiederholt auf einen eigenartigen Teppich, der auf der Wasseroberfläche schwamm. Erst sah es aus wie Kanalisationsschlamm. Doch die Schleusenwärter erklärten uns, dass dies ein natürlicher wiederkehrender Vorgang sei. Wenn im Herbst die Laubblätter auf den Kanalgrund absinken, bilden sie dort eine im kühlen Nass sich langsam zersetzende Biomasse. Sobaldaber im Frühling mit stärkerer Sonneneinstrahlung die Wassertemperatur steigt, wird die Gärung angekurbelt. In der obersten Schicht der Biomasse am Kanalgrund entwickeln sich Gärungsgase. Diese geben der Gärschicht vom Kanalboden Auftrieb und bringen sie  an die Wasseroberfläche. Vor den Schleusen staut sie sich zu einem nicht gerade ansprechenden, geschlossenen Teppich auf. Zum Glück verduften die Gärgase rasch, so dass die Brühe wenigstens nicht stinkt. Sie zu durchfahren, ist kein Problem; einzig der Kühlwasserfilter will rechtzeitig wieder gereinigt werden.

 
 

 
 

Die Stadt Verdun verleitete uns, ein paar Nächte zu bleiben. Wir schrieben  ja das Jahr 2016. Hundert Jahre zuvor hatte hier um Verdun im Ersten Weltkrieg eine gnadenlose Schlacht stattgefunden. Zum hundertjährigen Jubiläum waren in allen Museen, Bunkern, Friedhöfen und Gedenkstellen Veranstaltungen programmiert, die Informationstafeln und -schriften aktualisiert und zweckmässige Transportmöglichkeiten angeboten worden. Mit einem Hopp-on-hopp-off-Bus konnten wir alle Stationen besuchen und nach unserem Rhythmus anschauen. Die Stätten und Exponate vermitteln einen starken Eindruck, das Geschehene im Gelände zu erahnen. Der Betrachter verbleibt jedoch in unserer heutigen friedlichen Zeit und spürt nicht die Kälte, den Pflotsch, die Angst, die Entbehrungen und das Heimweh der damals Involvierten. Trotz dieser Stellung als Zaungast: der Eindruck, den diese Stätten hinterlassen, ist gewaltig und man fragt sich unweigerlich: Wie konnte das passieren? und: Was lernen wir daraus für unsere heutige Zeit?

 
 

 
 

Blick über das Kriegsgräberfeld von Duaumont in das hart umkämpfte Gebiet, wo sich die Natur die von Granaten zerpflügten Schlachtfelder zurückerobert hat.

 
 

Von Verdun aus fuhren wir gemeinsam mit unsern Freunden Nico und Ianne und ihrem Schiff Liane einen ganzen Tag lang mit einem uns begleitenden zuvorkommenden Schleusenwärter. Es war sehr kurzweilig, in Gesellschaft die vielen mechanisierten, aber noch nicht automatisierten Schleusen zu passieren. Am Ende dieser Strecke in Dun-sur-Meuse liessen wir unsere Freunde ziehen, denn wir wollten einen nächsten Halt mit Umgebungsbesichtigung einschalten.

 
 

Der Steg war von der letzten Schleuse aus bereits zu sehen, als sich eine tiefschwarze Regenwolke direkt über uns entlud. Riesige Regentropfen, vermengt mit Hagelkörner, prasselten aufs Schiff nieder. Bernadette hatte sich fürs Anbinden am Steg zwar regenfest angezogen, aber sie war innert Kürze nass und hätte dringend Scheibenwischer vor ihren Brillengläsern gebraucht. In Ermangelung dieser hilfreichen Einrichtung zog sie die Brille ab, legte sie im Steuerhaus auf den Tisch und arbeitete ohne Sehhilfe weiter. Wir wussten im Voraus, dass am Steg nur Ringe als Befestigungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Bernadette musste daher aussteigen und vom Steg aus das Tau in den Ring einführen. Es war der erste Ausstieg ohne Brille auf einen pflotschnassen veralgten Steg und ... flutsch lag sie flach auf den Brettern.  

Nach ein paar Schrecksekunden rappelte sie sich auf und setzte das Anbinden fort. Die Schmerzen vom Aufprall stiegen erst später auf, ganz langsam, aber immer stärker. Der Schlag aufs rechte Knie sollte sie noch Monate lang weiter beschäftigen und in immer neuen Formen schmerzen.

 
 

Trotz Umfaller war unsere Entdeckerfreude ungeschmälert. Wir trafen beim Touristenbüro auf den Präsidenten des Kultur- und Tourismusvereins. Wir waren neugierig. Er war mitteilsam. Er führte uns persönlich durch das angegliederte Centre culturel, wo Werke vom Künstler Jean Robert Ipoustéguy ausgestellt waren. Eine faszinierende Begegnung. Eines seiner Werke sollten wir auch an unserem nächsten Winterstandort in Berlin sehen. Der Präsident übergab uns auch den Kirchenschlüssel, damit wir dort zwei weitere Werke von Ipoustéguy besichtigen konnten. Das eine aus Bronze und weissem Marmor ist nachstehend abgebildet. Es zeigt "La Mort de l'Évêque Neumann" (1976). Bischof Neumann (1811-1870) war als erster amerikanischer Geistlicher am 19. Juni 1977 heilig gesprochen worden.

 
 

 
 

Die Plastik zeigt das Grabmahl von Bischof Neumann. Der Begrabene liegt im Schnee als Sinnbild des Todes. Er hat drei Gesichter, eines voll Wille und Mut, ein zweites voll Sorgen und Gram, ein drittes voll Erlösung und Ruhe. Das blinde Mädchen über dem Toten erkennt seine Erlösung und scheint mit ihm zu sprechen, während eine Schar von Menschen unbeteiligt vorüberzieht, auf Distanz gehalten von einem Wachtmann in Uniform.

 

 

Auf der Weiterfahrt besuchten wir in Mouzon das Filzmuseum, wo gerade eine Filzschuhausstellung war. 

 

 

 
 

Immer wieder diese satten grünen Farben und wunderschönen, zum Teil melancholischen Naturstimmungen begleiteten uns weiter flussabwärts.

 
 

 
 

Ein Liegeplatz in sattem Grün in Lumes, kurz vor Charleville-Mézières.

 
 

 
     
 

In Charleville-Mézières wurden wir zum ersten Mal mit der Sage von den vier Brüdern Aymon konfrontiert. Beim "Institut International de la Marionnette" gleich hinter dem "Place Ducale" öffnet sich auf der Höhe des ersten Stockwerkes zu jeder vollen Stunde eine 10 Meter hohe Bühne. Der Automat zeigt mit grossen Marionetten eine von 15 Szenen aus der Sage der Gebrüder Aymon. Wenn man sich geduldet bis abends um neun Uhr, kann man zusehen, wie alle Bilder hintereinander präsentiert werden.

Die Geschichte der Gebrüder Aymon lernten wir erst im nachfolgenden Ort Château-Régnault richtig kennen. Dort steht hoch oben über dem Dorf eine mehr als mannsgrosse Skulptur der vier Gebrüder mit ihrem Pferd Bayard und überschaut das Tal der Meuse. Keine Frage, diesen Aussichtspunkt erklommen wir. Kurz vor dem Gipfel wird in mehreren Schautafeln die ganze Geschichte der Gebrüder Aymon in einer Zusammenfassung erzählt. In einem Antiquariat fanden wir später ein französisches Buch mit Sagen dieser Gegend, in dem auch die ganze Geschichte ausführlich erzählt wird. Sie spielt im frühen Mittelalter zur Zeit Kars des Grossen. Im damaligen Bewusstsein gehörte das Natürliche und das Übernatürliche ungetrennt und ganz selbstverständlich zum normalen Lebensempfinden der Menschen.Die Geschichte liest sich wie ein Drehbuch für einen zeitgenössischen Star-Wars-Film.

 
 

 
 

Aussichtspunkt oberhalb Château Régnault mit dem sagenhaft starken Pferd Bayard und den vier Brüdern Aymon.

 
 
 
 

Das eng an den Berghang angelehnte Dorf Château-Régnault und das nochfolgende Dorf  Revin mahnten uns in ihrer Hanglage und Baustruktur sehr ans Tessin.

 
 
 
 

hügelig, lieblich

 
 

 

Revin ist ein sehr romantischer, kleiner und touristischer Flecken mit knapp 7'000 Einwohnern im Département Ardennes. Er ist sowohl für Schiffe als auch für Campervans luxuriös erschlossen.

 

Das Städtchen Revin in den französischen Ardennen

 

 
 

Dieses satte Grün an den Hängen der französischen Ardennen, das mit fleckenweiser Besonnung noch variationsreicher wurde!

 
   
 

Unser letzter Anliegeplatz in Frankreich vor dem Grenzübertritt nach Belgien war Givet. Dort hatte es luxuriös viele Liegeplätze am Flussufer entlang. Wir profitierten von unserer Schiffslänge und legten bei einer für Berufsschiffe vorgesehenen Kade an. Die Berufsschiffe nutzen neu nämlich den weiter unten liegenden neuen Umschlaghafen oder fahren direkt zur weiter oben liegenden Verladestelle des Steinbruchs.

 
   
 

Givet als historischer Grenzort zwischen dem französischen Köngreich und dem vom spanischen König regierten nördlichen Gebiet des heutigen Belgiens war stark befestigt mit einem noch heute gut sichtbaren "Fort Charlemont", das aber wegen seiner militärischen Nutzung touristisch nicht zugänglich ist. Umso mehr erfreute uns eine Privatführung in den zwei gegenüber liegenden Kirchen. Wir nahmen am Gottesdienst in der Église Notre-Dame teil, wo uns ein Kunsthistoriker aus der örtlichen Gemeinde ansprach und uns bereitwillig an seinem Wissen über die Église Saint-Hilaire am linken Ufer und die Église Notre-Dame am rechten Ufer der Meuse teilhaben liess. Bernadette erfreute sich lange an den schönen farbigen Kirchenfenstern.

 
 
 
 

Dann folgte der Grenzübertritt nach Belgien. Unser erster Halt in Belgien war Dinant. Dort war Liegeplatz knapp, weil der ganze rechte Uferbereich in der Stadtmitte eine lange Sanierungsbaustelle war und so viele traditionelle Liegeplätze vorübergehend unbenutzbar waren. An der Stadtzufahrt gabs noch eine Dagens-Länge freien Steg, von wo aus wir sofort zu einer Stadterkundung aufbrachen. Wir vernahmen als erstes, dass ein aus dieser Stadt stammender Herr Adolphe Sax mitte des 19. Jahrhunderts das Saxophon erfunden hätte. Saxophons in verschiedenen Grössen und Farben zieren deshalb das Stadtbild von Dinant auf Schritt und Tritt.

 
   
 

Dinant hat eine mit Gondelbahn gut erschlossene Zitadelle, die nebst Burgbesichtigung und Museumsbesuch eine sehr schöne Vogelsicht auf die Stadt ermöglicht. Wir mussten uns nach einer neuen  Internetverbindung umschauen, denn mit dem Grenzübertritt nach Belgien entfiel die Datenverbindung zum französischen Dienstanbieter.

 
   
 

Am Schiffssteg vor uns legten Lothar und Monika aus Berlin mit ihrem Boot "unser Traum" an. Sie kamen aus dem Berlin-nahen deutschen Bundesland Brandenburg und waren auf dem Weg nach Paris. Wir waren unterwegs nach Berlin. Kurzerhand tauschten wir unsere Fahrweg-Karten aus mit der Aussicht, die beiden während unseres Berlin-Aufenthaltes wiederzusehen und das Kartenmaterial zurückzutauschen.

 
   
 

Von unserem nächsten Zwischenhalt in Yvoir aus besuchten wir die Gärten von Annevoie. 44 verschiedene Springbrunnen und Wasserspiele beleben diesen in einer weichen Mulde angelegten Schlosspark, der jährlich weit über die Region hinaus viele Touristen anzieht. Das unterschiedliche Plätschern der Fontänen ist wie eine raumfüllende Klanginstallation. Noch ist der Park vorwiegend grün. Doch lässt sich die bald einsetzende Blütenpracht in den frisch bereiteten Blumenbeeten bereits erahnen.

 
 
 
 

Umso mehr Aufmerksamkeit erhält dafür dieser schwarze Schwan, der sich gemütlich durch den Teich pflügt.

 
 
 
 

 

 
 
 
 

In Yvoir kurz vor der Schleuse Hun besuchten wir Magda und Walter. Sie lagen im Winter 2012/13 mit ihrem Boot vor uns im Yachthafen Willemdok in Antwerpen. Walter ist Liegenschaftsverwalter und zugleich belgischer Schiffsfahrlehrer. Zusammen bewohnen sie im Sommer ein wunderschönes Anwesen mit Garten in Yvoir. Sie vermieten es auch. Gruppen bis zu zehn Personen kann dieses Anwesen aufnehmen. Wenn Magda und Walter in ihrem kleinen Schloss Gäste haben, gehen sie entweder auf ihr Boot oder wohnen in einer der anderen Liegenschaften im Raum Antwerpen.

 
 
 
 

Am Nachittag fuhren wir weiter nach Namur. Dort konnten wir im Port de la Pairelle längs MS Kendra-Erin festmachen und erst mal im Paket liegen. Wir kennen Michele und Kevin Bond seit unserem gemeinsamen Aufenthalt in Cergy bei Paris im Winter 2013/14. Es gab ein freudiges Wiedersehen. Am Folgetag konnten wir in eine freie Lücke am Steg aufrücken und uns gemütlicher einrichten, auch für den Ab- und Auflad der Fahrräder.

 
   
 

Doch nicht genug des Wiedersehen. Auch Jenny und Bob mit ihrem Schiff Naik und dem Kater Jules lagen in Namur und warteten auf uns. Es gab wieder viel zu erzählen, über Ängste beim Fahren, über Gesundheit und über gutes Essen. Nach dem Wiedersehen fuhren sie schon bald auf der Meuse weiter zu Tal und berichteten uns in regelmässigen Abständen über die Fahrstrecke und über Möglichkeiten, wo wir gute Liegeplatze für einen Zwischenhalt hätten.

 
 

 
 

Tage später verliessen wir zusammen mit dem Schiff Kendra-Erin die Stadt Namur. Sie wollten - wie wir auch  - über Lüttich nach Maastricht fahren. So ergab sich eine willkommene Gelegenheit, von Bord aus gegenseitige Schnappschüsse unserer Schiffe in voller Fahrt zu schiessen. Doch strömender Regen begleitete uns den ganzen Tag und liess die Fotos wie verschleiert aussehen.

 
   
 

Wir fuhren den ganzen Tag die Meuse zu Tal, durch Huy durch, bis gegen Abend. Auf der Höhe von Flusskilometer 85 glaubten wir, hinter einer Insel ein wenig Ruhe vor den Wellen vorbeifahrender Berufsschiffe zu finden. Aber das war ein Irrtum. Es herrschte bis gegen Mitternacht ein reger Berufsverkehr und in diesem Seitenarm der Meuse eine erhöhte Strömung. Ein Fischer warnte uns angesichts der umfangreichen Regengüsse vor einem Anstieg des Wasserpegels. Wir prüften und verstärkten unsere Anbindung am Ufer. Doch wider Erwarten war der Pegel am Morgen gesunken. Unsere Taue und Festmacher hatten sich auch in dieser Situation bewährt. So konnten wir zeitig die Fahrt fortsetzen. Es war 30. Mai, nur noch nass, regnete aber nicht mehr.

 
   
 

Michele von der Crew der MS Kendra-Erin hatte der Regentag und die unruhige Nacht zugesetzt. Sie blieb in ihrer Kajüte liegen. Nach kurzer Absprache, wie wir mit  drei Erwachsenen bei dieser starken Fliessgeschwindigkeit zwei so grosse Schiffe handhaben könnten und wie wir uns mit welchen Manövern helfen könnten, legten wir los. Das Ablegen ging gut und die Fahrt auf dem Fluss verlief problemlos, allerdings nicht weit. Bereits nach 11 Kilometern, vor der Schleuse Ivoz-Ramet, lag alles still. Die Berufsschiffe reihten sich am Ufer. Die Schleuse wurde bestreikt. Wir legten hinter den ersten Berufsschiffern im Doppelpaket an. Es kamen immer mehr und mehr Schiffe. Bald waren die Kaden links und rechts der Schleusenzufahrt voll belegt. Auf unserem Navigationsbildschirm sahen wir, dass unterhalb der Schleuse gegengleich ein Stau von Schiffen entstand. So viele Schiffe auf kleinem Raum hatten wir noch nie auf unserem Bildschirm zu sehen. Es war auch von der Schleuse aus imposant zu beobachten. Eigentlich war geplant, dass die Patientin Michele in Lüttich den Arzt aufsuchen könnte. Aber es gab keine Schleusung und niemand wusste, wie lange der Streik andauern würde. Also mussten wir eine andere Lösung suchen und ein Taxi zu unserem Liegeplatz lotsen. Es klappte und Michele kam noch gleichentags nach ambulanter ärztlicher Betreuung im Spital von Lüttich zurück auf ihr Schiff mit der Weisung, fünf Tage der Ruhe zu pflegen.

 
   
 

Eigentlich hätte uns Helga bei unserer Ankunft im Yachthafen von Lüttich mit einer feinen selbstgemachten Suppe erwartet. Da wir aber diesen vereinbarten Ort nicht erreichen konnten, fuhr sie mit ihrem Auto und ihrem Freund Fred zur bestreikten Schleuse Ivoz-Ramet und brachte die Suppe heiss auf den Tisch. Wir verbrachten einen tollen Nachmittag zusammen.

 
   
 

Der Streik ging weiter. Immer mehr Berufsschiffe legten rund um uns, oft auch im Paket, an. Erst nach zwei Nächten kam Bewegung in die still liegende Flotte. Schon vor sieben Uhr starteten einzelne Schiffsmotoren und die erste Schleusenfüllung brachte sich vor den Toren in Position. Dann gings auf und ab mit jeweils optimal gefülltem Schleusenbecken und die Schlange der wartenden Schiffe rutschte dem Kai entlang nach vorn. Auch wir wurden nicht vergessen und konnten den Restplatz einer Schleusenfüllung nutzen, um weiter zu Tal zu fahren.

 
   
 

Für einmal ging Bernadette fremd. Sie half auf Kendra-Erin aus. Michele durfte sich ja noch nicht bewegen und Kevin hätte sie noch so gerne bis Lüttich an Bord behalten. Aber nach der Schleuse Ivoz-Ramez stieg Bernadette wieder auf die heimische Dagens 2 um.

 
 
 
 

So erreichten wir den Yachthafen in Lüttich und konnten in aller Ruhe an den mit dem Hafenmeister abgesprochenen Plätzen anlegen. Das Wiedersehen mit der Stadt war interessant. Erst hatten wir fast keine Bilder mehr von ihr im Kopf. Doch auf Schritt und Tritt tauchten die Erinnerungen wieder hervor. Im noch kaum erblühten Parc de la Boverie besuchten wir das seit unserem letzten Besuch neu eröffnete Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. In der ehemaligen Ausstellungshalle der Lütticher Weltausstellung von 1905 entdeckten wir schönste Werke von Picasso, Gauguin, Monet, Chagall, Kokoschka und weiteren Künstlern. Beim Bahnhof Liège-Guillemins von Architekt Cavaltrava war jetzt auch der Vorplatz fertig gestaltet und erlaubte einen eindrucksvollen Anblick der über die Geleise geschwungenen Bahnhofshalle. Im Bahnhof selbst war zur Zeit unseres Besuches eine Wanderausstellung über das Lebenswerk von Salvador Dalí zu sehen, was wir uns natürlich nicht entgehen liessen. Am Wochenende war Kirchentag. Alle Kirchen standen zur Besichtigung offen und an verschiedenen Orten gab es neben Gottesdiensten auch Führungen oder ein musikalisches Begleitprogramm. Wir hörten ein Orgelkonzert und applaudierten den Darbietungen eines Gospelchores.

 
 
 
 

Erneut mit vielen Eindrücken aus der abwechslungsreichen Stadt Lüttich befrachtet, nahmen wir wieder Fahrt auf und querten nach der Schleuse Lanaye die Grenze zu Holland. Seit unserer letzten Durchfahrt waren auch hier die Bauarbeiten im Jahr 2015 beendet worden. Im grossen neuen Schleusenbecken von 200 x 25 Meter verlor sich der nur 23 Meter lange Schiffskörper von Dagens 2 fast.

In Maastricht empfing uns die Hafenmeisterin Nanni im Stadthafen t'Bassin aufs herzlichste. Auch Bob und Jenny mit ihrem Schiff Naïk waren bereits hier und erwarteten uns.

 
 

 
 

Es gab ein "gezellig" Wiedersehen und ein feines Abendessen an Bord von Naïk.

 
   
 

Unser Aufenthalt in Maastricht erlaubte auch ein Wiedersehen mit der hier wohnenden Leni Limbourg und ihrem Sohn Jean aus Loosdrecht. Jean war unser Schiffnachbar in Kudelstaart in den Wintern 2010/11 und 2011/12 und hat uns mit seinen interessanten Gedanken viel Anregung verschafft.

 
 
 
 

Ein paar Tage darauf fuhr uns die 86-jährige Leni mit ihrem eigenen Auto zum Amerikanischen Soldatenfriedhof aus dem 2. Weltkrieg in Südlimbourg. Sie war eine quirlige Reiseleiterin und wusste viel zu erzählen. Wie ein Feuerwerk sprudelte es aus ihr hervor, über ihre Jugend, ihre Familienzeit, ihre Erlebnisse und Begegnungen während der Kriegszeit in dieser Region. Dann führte sie uns zum Mittagessen in ein originelles Restaurant und fuhr mit uns den ganzen Nachmittag lang noch mit vielen Erklärungen durch Süd-Limburg.

 
 
 
     
 

Auch Helga nahm den Weg von ihrem nahegelegenen Herenlaak, wo sie jeweils im Sommer in einer grossen Campingsiedlung wohnt, unter die Räder und besuchte uns in Maastricht.

 
 

Last but not least besuchten uns Nanni, die Hafenmeisterin, und ihre Eltern. Erneut ein freudiges Wiedersehen und ein herrlicher Gedankenaustausch beim nachmittäglichen Zvieri.

 
   
 

Noch bevor wir anderntags in Maasbracht ankamen, winkten uns von ferne zwei Personen ab einer Brücke, die wir unterquerten. Die eine Person war leicht zu erraten, da abgesprochen. Es war Helga. Doch die zweite? Sie war erst verdutzt, dass neben ihr auch Helga uns zuwinkte. Bei der Annäherung löste sich das Rätsel. Es war Fons aus Huizen, welcher mit seiner Frau Marian und ihrem Schiff Kabbelaarsbank in der Marina Van der Laan Yachting auf uns warteten. Sie waren von Antwerpen her kommend, auf ihrer Heimfahrt nach Huizen. Wie selbstverständlich war Fons auf der Stelle, um uns im Werftbecken von Tinnemanns festzumachen. Auch Marian und Tobi waren nicht weit und kamen zur Begrüssung auf unser vertäutes Schiff.

 
 
 
 

Auch Helga stand wiederum mit einer selbstgemachten Suppe bereit, uns im Ziel zu begrüssen. Unglaublich dieser Luxus! Es war wie ein Heimkommen, so empfangen zu werden.

 
   
     
 

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 aktualisiert: 20.01.2017/ BG & hg