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Fahrt von Antwerpen nach Cergy  Teil 2: Frankreich
9. bis 22. Oktober 2013

 

 

 

 

Von Doornik aus fuhren wir am 9. Oktober 2013 über die Grenze nach Frankreich. Das war im Zeitalter der EU-Freizügigkeiten kein Problem mehr. Am Ufer entdeckten wir aus früherer Zeit noch dieses kleine Zollhaus und den langen Anliegekai, wo die Frachtschiffe festbanden, um ihre Ware zu verzollen. Heutzutage gehören im EU-Raum Personenkontrollen und Warenzoll der Vergangenheit an. Nicht grenzüberschreitend ist jedoch der Zugang zu einer der modernsten, weltumspannenden Entwicklung: das Internet. Da geht ennet der Grenze gar nichts mehr. Es wird einem schlagartig bewusst, wie häufig und beinahe selbstverständlich man Informationen aus dem Internet hereinholt und über Mail, Skype oder andere Wege kommuniziert. Darum gilt unsere erste Sorge in jedem neuen Land: wie kommen wir wieder zu einem leistungsfähigen Internet-Zutritt?

 

 

Valencienne war unser erster Übernachtungsplatz in Frankreich. Im Seitenarm der Escault (wie die Schelde hier heisst) neben der Schleuse Folien konnten wir anlegen, ohne Strom und Wasser. Das hiess Generator-Einsatz.

 

 

 

 

Ein vorbeigehendes Ehepaar, das neugierig fragte, unser Schiff besichtigen zu dürfen, zeigten uns den Weg ins Geschäftszentrum, wo wir bei stark abkühlendem Regen versuchten, uns einen französischen Internetzugang zu verschaffen. Bevor wir jedoch ein entsprechendes Geschäft fanden, retteten wir uns spontan vor dem Regen in einen Coiffeursalon, wo wir beide parallel unsere Haare kürzen liessen. Um einige Gramm leichter schritten wir weiter ins Geschäftszentrum. Orange war auf unserem Weg der erste Anbieter. Er verkaufte uns eine Internet-SIM-Karte (ohne Telefon und SMS) mit brauchbarer Übertragungsrate und einem vorausbezahlten Volumenlimit von 2 GB für 20 € innert einem Monat, die online erneuerbarem Kreditlimit. Das entsprach unseren Ansprüchen mit Ausnahme der spezielle Geschäftspraxis von Orange, den Datenverkehr zwischen zwei Computern künstlich zu verlangsamen und damit Skyp oder andere peer-to-peer-Anwendungen zu behindern. Orange will ganz offensichtlich an seinen Telefongesprächseinnahmen keine Abstriche machen. Aber fürs Erste hatten wir, was wir brauchten und ... oh Wunder! Es funktionierte auf Anhieb.

 

 

Auf unserer Weiterfahrt erreichten wir am 10.10.2013 den Ort Marquion und legten im Hafen (Längskai) an. Trotz der Bezeichnung "Hafen" war auch hier kein Wasser und kein Strom erhältlich. Es war eigentlich nur ein befestigtes Ufer für den Warenumschlag zwischen Schiff und Lastwagen. Vor uns lag das Motorschiff Nora aus Deutschland. Dieser zum Wohn- und Schulschiff umgebaute Spits von 39 Meter Länge nimmt Jugendliche auf, die in einer drei- oder sechsmonatigen Schiffreise nach Südfrankreich und zurück erkennen sollen, in welchem Beruf sie sich ausbilden lassen wollen. Das Schiff bietet Gelegenheit, unter Anleitung von zwei schiffigen Lehrlingsbetreuern Arbeiten aus den verschiedenen Berufen auszuführen und lässt die Jugendlichen erfahren, wie sich die gesamte Reisegruppe auf eine zuverlässige und zeitgerechte Ausführung der einzelnen Arbeiten verlässt. Neben den Bereichen Mechanik, Elektriker, Sanitär, Maler, Koch, Elektronik, kaufmännische Rechnungsführung können auch die Berufe der Schifffahrt praxisnah erfahren werden.

 

 

 

 

Auf der Weiterfahrt erreichten wir auf dem Canal du Nord den Kanal-Tunnel von Ruyaulcourt. Es war unsere erste Tunnerdurchfahrt mit der Dagens 2. Für die Zertifizierung im Jahre 2011 mussten wir einen Scheinwerfer vorweisen. Im Hinblick auf die Tunneldurchfahrten in Frankreich hatten wir damals vom Elektriker auf der Werft in Hasselt einen mobilen, in die Breite strahlenden Scheinwerfer erworben. Nun kam er endlich zu seinem Ersteinsatz. Wir meisterten die 4.8 km lange Dunkeltrecke dank klarer Sicht auf den Kanalrand gut.

 

 

 

 

In Péronne war der Jachthafen mit Dauerlieger voll besetzt. Es blieb uns nur der Umschlag-Kai für Berufsschiffe. Wir konnten hinter einem Spits und einem Wohntjalk anlegen, mussten uns allerdings unserer grossen Häringe bedienen, denn die Poller waren auf das Längenmass der 40 Meter langen Frachtschiffe ausgelegt und darum viel zu weit auseinander, um ein sicheres Vertäuen zu gewährleisten. Die zwei Engländer vom Wohntjalk halfen uns freundlicherweise festmachen. Sie waren unterwegs zu ihrem Winterquartier in Arras, dem Endpunkt der noch schiffbaren Scarpe. Allerdings spielte ihr Schiffsmotor mit ihnen Katz und Maus, wollte nicht anspringen oder stellte nach kurzer Zeit selbständig wieder ab. Am zweiten Tag hatten sie ihn dann doch so weit, dass sie weiterfahren konnten.

 

 

 

 

Inzwischen war der Spits UNI-DEO angekommen, dessen Eigener schon 30 Jahre lang darauf fahren. Sie haben uns viel von ihrem Leben als "batelier" erzählt und wir hörten gespannt zu. Ab Montag werden sie Korn laden, das von den Landwirten aus der Umgebung mit grossen Lastwagen herbeigekarrt und via Förderband ins Schiff gegossen wird. Diese Fuhr geht nach Deinze bei Gent in Belgien.

 

 

 

 

In Péronne an der Somme besuchten wir das Historial, eine in das ehemalige Fort eingebaute, modern konzipierte Gedenkstätte an die Zeit vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg. Durch die ganze Ausstellung wird die damalige Zeit geschildert aus französischer, englischer und deutscher Sicht. Das Schwergewicht liegt nicht auf der militärischen Taktik, sondern auf den Stimmungen und Erfahrungen in der Zivilbevölkerung, auf den politisch-ideologischen Entwicklungen und auf den parallel dazu verlaufenden Geschehnissen in den Kolonien der kriegführenden Nationen. Die Ausstellung brachte uns etliche Aha-Erlebnisse und fesselte unsere Aufmerksamkeit in grossem Masse. Ein wirklich sehenswertes Institut, an dem auch weiterhin über diese Zeit historische Forschung betrieben wird.

 

 

 

 

Die kartografische Darstellung der Westfront zeigte uns, wie wir mit unserer Dagens 2 ein Gebiet durchfuhren, das seinerzeit ganz schauderlich verwüstet wurde, wovon die zahlreichen Soldatenfriedhöfe in diesem Gebiet auch heute noch Zeugnis ablegen.

 

 

 

 

Erstaunt haben wir zur Kenntnis genommen, wie viele Krieger und Kämpfer in den jeweiligen Kolonien rekrutiert worden waren und Seite an Seite mit den einheimischen Kämpfern an der Front verheizt wurden. Dass die Alliierten aus ihren Kolonien eine wesentliche Unterstützung in der Rohstoff- und Lebensmittelversorgung erfuhren und wie Deutschland mit seinen verspäteten Kolonialisierungsbemühungen ins Hintertreffen geriet und darum viel stärker Hunger litt. Wie durchdringend bis in die Kinderstube hinein die Kriegspropaganda wirkte und den Feind zum Untier verfemte, womit erst durch dessen Ausrottung eine friedliche Zukunft gesichert werden könne. Wie spät die Amerikaner auf den Plan traten und doch am Ende den Ausschlag gaben. Was der Friede von Versailles alles an schwelenden Problemen hinterliess. Lauter anschauliche Begegnungen mit Ausstellungsbildern und Objekten, welche die Auseinandersetzung mit dieser Zeit zum Erlebnis werden liess. Wie froh waren wir, mit unserem Schiff diese Landschaft in ihrer wieder erlangten natürlichen Schönheit durchfahren zu dürfen.

 

 

 

 

So wie der Yachthfen in Péronne waren in unserer Karte unterwegs verschiedene kleine Hafen markiert, die aber bei näherem Zusehen allesamt nur Liegeplätze für Boote bis 15 Meter Länge vorsahen. Für längere Schiffe gabs nur die strom- und wasserlosen Verladekais der Berufsschifffahrt. Via Hintertürchen konnten wir in Péronne vom naheliegenden Campingplatz mit einigen Kabelverlängerungen doch noch Strom anschliessen und so einen Tag und eine Nacht ohne Generatorbrummen verbringen. Das war angenehm und liess in uns den Gedanken an ein paar Solarzellen auf dem Dach wieder aktuell werden: ein Projekt für den Winteraufenthalt in Cergy, wo uns Bob und Josef mit ihren diesbezüglichen Erfahrungen sicher weiterhelfen können.

 

 

 

 

Warten auf die Durchfahrt durch den zweiten Tunnel auf dem Canal du Nord, den Souterrain de Panneterie. Dieser war mit 1 km wesentlich kürzer als der erste. Wieder kam der Scheinwerfer zum Einsatz. Es gelang uns, schön der Steuerbordseite entlang zu fahren und die wüste Bachbordseite zu meiden, denn dort war die Kanalwand teilweise abgebrochen und die Betonkante lag unter dem Wsserspiegel, war also schlecht auszumachen. Alles ging gut und nach der Durchfahrt konnte der Scheinwerfer wieder im Maschinenraum eingelagert werden.

 

 

 

 

Erwartungsgemäss war auch in Pont-l' Évêque der in der Karte eingezeichnete Yachthafen mit Dauerlieger vollgestopft. Es blieb uns nur die letzte Lücke am Kanalrand vor dem italienischen Restaurant, mit Anbindung an der Leitplanke und an einem unserer grossen Häringe in der Blumenrabatte an der Grasböschung.

 

 

 

 

Hier putzten wir die Dagens 2 Rumpfwand zuerst einmal gründlich. Sie sah von den algenbewachsenen Schleusenwänden echt fies aus. Auch die Taue hatten ihren Teil Dreck abbekommen und auf dem Deck abfallen lassen. Zu zweit und mit Wetterglück hatten wir dies schnell unter Kontrolle, so dass wir vor dem Eindunkeln noch einen Abendspaziergang entlang dem Canal Latéral à l'Oise machen konnten.. Wir sahen viele alte, verrostete Kähne am Ufer vertäut liegen und Schiffe, die - halb untergegangen - nicht mehr zu gebrauchen sind. Zum Tagesabschluss gabs Broccoli-Auflauf. Er schmeckte himmlisch.

 

 

 

 

Dann am Morgen des 16. Oktobers 2013: Nebel - Nebel - Nebel. Wir warteten bis zum Mittag, dann erst lichtete er sich und wir konnten in Richtung Compiègne losfahren. Es blieb viel Feuchtigkeit in der Luft. Selbst als wir in Compiègne auf der Höhe des Bunkerschiffes der Familie Guerdin am linken Ufer der Oise festmachten, regnete es in Strömen. Auch hier waren wir auf unsern Wasservorrat und den Stromgenerator angewiesen. Auch hier war der Yachthafen nur für Schiffe bis 15 Meter Länge eingerichtet. Der Liegeplatz am Hafen hätte uns nichts Besseres gebote, wie wir später bei der Durchfahrt mit dem Velo erkennen konnten. Also waren wir zufrieden, in nächster Näher zum Stadtzentrum und in verkehrsberuhigter Lage. Die Aussicht auf das Bunkerschiff war interessant. Dauernd fuhren Schiffe vor um zu tanken. Ja selbst der Berufswahl-Spits von Marquion kam vorbei und "liess sich voll laufen".

 

 

 

 

In Compiègne besuchten wir per Velo die Waldlichtung, wo 1918 in einem Eisenbahnwagon der Waffenstillstandsvertrag unterschrieben worden war, der das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete. Daselbst hatte Hitler 1940 die Unterwerfungszeremonie Frankreichs unter das 3. Reich inszeniert und in seinen Augen höhnisch Rache genommen für die 1918 an Deutschland zugefügte Schmach. Mit Hilfe des ausgestellten und original möblierten Eisenbahnwagens, in welchem die Unterzeichnung stattfand, liess sich die Szenenabfolge 1918 bildhaft leicht vorstellen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für uns ganz neu, aber für alle französischen Könige ab Louis XIII bis Napoleon III bestens bekannt: Das Schloss in Compiègne. Es gefiel uns gut und wir staunten über die vielen gekrönten Häupter, die hier teilzeitig gewohnt hatten und sich mit An-, Neu- oder Umbauten verewigten. Compiègne war berühmt und beliebt für die Jagdinszenierungen im grossflächigen Schlosswald, wo mit Treib- und Hetzjagden dafür gesorgt wurde, dass die jagdlüsternen adeligen Häupter unabhängig ihrer Treffsicherheit mit Jagdbeute nach Hause kehrten.

 

 

 

 

Im Schlossgarten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach einem ausgiebigen Rundgang durchs Schloss mit seinen stilvoll eingrichteten Gemächern und dem grossen Spiegelballsaal erholten wir uns im Kaffee Rosengarten, wo der Anblick des Kuchenbuffets eine spontane Ausschüttung von Speichel im Mund provozierte, die ein Zugreifen als unvermeidbare Handlung zur Folge hatte. Gelabt und gestärkt genossen wir die letzten Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne auf einer lauschigen Bank im Rosengarten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als wir am folgenden Tag das reichhaltige Zinnfiguren-Museum besuchten, begegneten wir - uns neuerdings vertrauten - nachgestellten Szenerien und stellten uns plastisch vor, wie König Louis XIII als kleiner Junge mit seinen 340 Zinnfiguren gespielt haben könnte.

 

 

 

 

Wir lernten, dass früher Soldaten ihren Frauen oder Geliebten einen Zinnsoldat als "Vergissmeinnicht" überreichten, wenn sie in eine Gefechtsübung aufbrechen mussten ...

 

 

 

 

... und dass die Frauen nicht hintanstanden und ihren Geliebten eine putzige Frauenfigur aus Zinn in den Krieg mitgaben, auf dass sie ihnen treu bleiben mochten.

 

 

 

 

Am Sonntag war in Compiègne Markt, und zwar gross, vielseitig und gut besucht. Musik über dem Marktplatz schuf Stimmung und zwischendurch wurden via Lautsprecher immer wieder Aktionen und Spezialitäten an einzelnen Marktständen ausgerufen. Es gab frisches Bier zu degustieren und neben dem Wissenquiz des Metzgerstandes brodelte der Spatz in einem grossen Kessi. Das Brot vom Markt mundete ausgezeichnet und nicht weit davon verkaufte der Fischhändler seine gepökelten Heringe zum Apéritif.

 

 

 

 

Nachdem wir beim Bunkerboot für unsere Dagens 2 noch ein letztes Mal so richtig Zweckmässiges eingekauft hatten, fuhren wir am Montag, 21.10.2013, nach Creil weiter. Es war eine sehr gemütliche Fahrt. Wir hatten nur noch niedrige Schleusen mit einem Verfall um 2 Meter oder weniger. Da war die Seilarbeit ein Zuckerschlecken und wir kamen bereits kurz nach zwei Uhr an unserem Ziel an.

 

 

 

 

Eine Velotour zur Besichtigung der Stadt entwickelte sich zu einer Bergetappe. Was die Oise in jahrhundertlanger Grabarbeit der Landschaft eingefurcht hatte, hinterliess auf den Anhöhen schönste Wohnlagen, weshalb diese Stadt vom untern Geschäftsniveau zur oberen Wohnplattform über 100 Meter Höhenunterschied umfasst. Dem Velofahrer wird - ganz anders als in Holland oder Belgien - nur in vierter Priorität Raum gewährt. Die drei ersten Prioritäten gehen alle zu Gunsten des Autos. Bernadette hatte Glück, dass ein parkierter Autobesitzer seine Türe nach einem Aufschrei von Bernadette auf Talfahrt gleich wieder schloss. So passierte nichts und wir blieben davor verschont, unsere Reisepläne völlig neu auszurichten.

 

 

 

 

Auch sowas gabs unterwegs zu sehen: ein zum Disco-Lokal umgebautes Unterseeboot auf einem Frachtschiff.

 

 

 

 

Der Herbst färbte das Ufer abwechslungsreich bunt und an Deck kamen die Zierkürbisse voll zur Geltung.

 

 

 

 

Pontoise, die letzte Schleuse dieser Fahrsaison 2013. Wir sind in Belgien 1.781 km gefahren ...

 

 

 

 

... haben 173 Schleusen überwunden, sind durch diverse Lifte gegondelt, haben unzählige Brücken heben oder drehen lassen und sind im Konvoi nach Nieuwpoort und zurück gefahren.

 

 

 

 

In Cergy hiessen uns Jenny und Bob sowie Bruno, der Hafenmeister, herzlich Willkommen und halfen uns festbinden. Wir dürfen - wie gewünscht - am Aussensteg liegen und haben freie Sicht auf den Fluss und ins Grüne. Herrlich!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Glücklich und dankbar schlossen wir mit dieser Ankunft im Winterhafen die Fahrsaison 2013 ab.

 

 

 

 

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 aktualisiert: 13.11.2013 / BG