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Fahrt von Antwerpen nach Cergy  Teil 1: Belgien
23. September bis 9. Oktober 2013

 

 

Der Morgen zeigte sich sehr windstill, aber schon mit ein wenig Herbstnebel und einem wunderschönen, von Tauperlen verzierten Spinnengewebe an unserer Heckreling. So gegen 9 Uhr war der Himmel klar und wir konnten bei schönstem Wetter losfahren.

 

 

 

 

 

Zuerst aber noch einen Kaffee auf der MS Pablo Neruda. Hilde und Olaf mit ihrem Nachbarn Jan machten uns den Abschied aus dem geliebten Antwerpen gar nicht so leicht.

 

 

 

 

Unter dem MAS Gebäude durften wir den Winter 2012/2013 verbringen. Im Sommer kamen wir  zwei Mal in den Jachthafen Willemdok zurück und konnten immer wieder am gleichen Ort liegen. Doch nun: Adee !!!

 

 

 

 

Schon ging für uns wie geplant die Londonbrücke auf.

 

 

 

 

Dann bei der Kattendijkschleuse hiess es, dass wir über eine Stunde zu spät seien. Wir hatten uns doch am Vorabend informiert und bestätigt erhalten, dass wir um 10 Uhr durch diese Schleuse auf die Schelde hinaus fahren könnten. Leider zu spät, hiess es. Die nächste Durchfahrt sei erst wieder am Nachmittag um fünf Uhr. Ausweichen auf die Royersluis war nicht möglich. Die war wegen Unterhaltsarbeiten mehrtägig gesperrt. So wechselten wir auf Plan B: Den Hafen von Antwerpen eine Stunde lang bis zur Mitte zu durchfahren, um dann bei der Van Cauwelaert- und Bodewijnschleuse auf die Schelde hinaus zu kommen.

 

 

 

 

Statt ausserhalb der Kattendijkschleuse am Steg zu warten, bis um 14 Uhr die landeinwärts Strömung einsetzte, mussten wir uns nun gegen die ausfliessende Schelde wieder flussaufwärts kämpfen. So lernten wir die volle Kraft dieses gezeitenabhängigen Flussabschnittes kennen. Die Differenz zwischen Gegenstrom und Mitstrom fahren macht auf der Höhe von Antwerpen immerhin 12 km/h aus. Das zählt, punkto Zeit und punkto Dieselverbrauch. Pünktlich um 14 Uhr waren wir zurück an der Stelle, wo wir aus der Kattendijkschleuse herausgekommen wären, und konnten von dort an mit der Strömung Schelde gemütlich flussaufwärts fahren.

 

 

 

 

Kurz vor der "Todzeit", das ist der Moment, wo die Strömung die Richtung wechselt, erreichten wir mit Abendsonne den Schiffssteg auf der Schelde in Dendermonde.

 

 

 

 

Am anderen Morgen (24.9.2013) wollten wir wieder von der Gezeitenströmung profitieren. Aber da machte uns der Nebel einen Strich durch unsere Berechnung. Als sich der Nebel zu lichten schien, fuhren wir - eine Stunde später als geplant - ab, kamen aber dann noch einmal in eine extreme Nebelwand hinein. Am nächstbesten Sportsteg machten wir fest und mussten da weitere zwei Stunden abwarten, bis wir wieder genügend Sicht für die Weiterfahrt hatten.

 

 

 

 

Damit war aber die Gunst der Aufwärtsströmung verspielt und wir mussten wieder gegen die - allerdings im Oberlauf nicht mehr so starke - Strömung bis zur Schleuse Merelbeke anfahren. Im Jachthafen Merelbeke durften wir am gleichen Ort wie zuvor festbinden und Rocco, der Hafenmeister, mit seinem Freund André begrüssten uns herzlich.

 

 

 

 

Mit unserem Zwischenhalt in Merelbeke wollten wir uns vor unserer Reise nach Paris gebührend von Rocco und seiner Frau Véronique verabschieden. Sie hatten uns im diesem Spätsommer so gastlich aufgenommen und betreut. Nicht allein mit Liegeplatz, Wasser und Strom, nein auch mit kulinarischen Hochgenüssen der italienischen Küche am Wochenende, mit Leihvelos für unsere Gäste, mit Transporthilfe zum Einkauftszentrum und mit Taxidienst zum Flughafen von Brüssel. Alles liebevolle Handreichtungen unter Freunden. Und Freunde werden sie auch bleiben. Wir hoffen sehr, dass sie uns in Paris einmal besuchen kommen.

 

 

Véronique und Rocco schenkten uns zum Abschied und als Erinnerung an Belgien eine lustige Auswahl aus den geschmacklich so abwechslungsreichen belgischen Bieren. Wir werden noch viele Male nach einer Tagesreise auf unsere einzigartige Begegnung mit diesem lebensfrohen Paar anstossen können.

Am 28.9.2013 fuhren wir von Merelbeke nach Oudenaarde, der belgischen Stadt, die wir noch als Letzte kennenlernen wollten. So viele hatten uns von ihr geschwärmt, dass wir nicht einfach durchfahren wollten, sondern ihr ein paar Tage widmeten.

 

 

In Oudenaarde konnten wir zuerst am Kanalkai mitten in der Stadt liegen. Die vorbeifahrenden Berufsschiffe fuhren jeweils langsam vorbei - nicht wegen uns, sondern wegen der nahen Hebebrücke. Aber als nach dem Wochenende am Montagmorgen die der Kai-Verschönerung dienende Baustelle wieder auflebte, waren uns Staub und Lärm zu lästig und wir ergriffen dankbar die Gelegenheit, den im Jachthafen mittlerweilen freigewordenen Liegeplatz für die folgende Woche zu belegen.

 

 

 

 

Unsere Stegnachbarn Maurits und Olga, die Eigner vom Schiff "De 4 Vaargetijden", fahren von hier aus mit Gästen durch die südlichen Gewässer von Belgien. Gegenseitige Schiffsbesichtigung, gemeinsames Essen, Erfahrungsaustausch und viele hilfreiche Reise- und Ausflustipps: alles Ingredienzen zu einer neuen, herzlichen Freundschaft.

 

 

 

 

Ein Ausflugstipp betraf das Textilmuseum in Ronse. Per Velo machten wir uns auf, durch eine Landschaft, die dem Bucheggberg bei Solothurn ähnelt: Hügel, Wald, grossflächige Landwirtschaft und jede Sorte von Steigungen unterwegs. Es war in den letzten drei Jahren kaum mehr vorgekommen; aber hier mussten wir doch stellenweise unser Velo bergauf stossen, um kurz danach wieder eine Schussfahrt zu Tal zu machen. Nach 20 km Fahrt fanden wir das gut bewegweiserte Textilmuseum in Ronse. Schock! Es war seit dem vergangenen Sonntag in den Winterschlaf gefallen und nur noch an Wochenenden nachmittags geöffnet. Die ganze Mühe umsonst? Die freundliche Dame am Eingangsschalter hatte Mitleid mit uns und fragte einen der Konservatoren, ob er uns trotz Schliessungszeit durch das Museum begleiten würde. So kamen wir unvermittelt in den Genuss einer Privatführung und erlebten zwei hochinteressante Stunden zum Thema Weben, Webmaschinen und deren technische Entwicklungsschritte von den Handwebstühlen bis hin zu den modernsten Automaten, wo der Schuss in einem Druckluftstrahl durch die Kette geschossen wird. Alle ausgestellten Maschinen sind in betriebsfähigem Zustand und werden dem Besucher in voller Aktion vorgeführt. Ein packendes Erlebnis.

 

 

 

 

Oben: Auf einer Rolle vorbereitete, mehrfarbige Kette, bereit zum Aufspannen auf einen Webstuhl.

Unten: Führung des Kettenfadens auf einem Jaccard-Webstuhl.

 

 

 

 

Nach diesem lehrreichen und anschaulichen Ausflug in die Welt der Textilherstellung wartete uns eine ebenso lange Heimfahrt durch die sich in schönsten Herbstfarben präsentierende Landschaft, aus der bei einkehrender Dämmerung bereits ein feiner Bodennebel aufstieg. Müde und mit einer Portion Muskelkater erreichten wir in Odenaarde wieder unser Schiff.

 

 

 

 

Am Sonntag war in Oudenaarde Schützenfest - nicht in Form eines Wettschiessens, sondern als gesellschaftliches Treffen der Vereine. Aus ganz Flandern kamen die Schützengilden in ihren Trachten und Kostümen nach Oudenaarde. Die Schützengilden sind Innbegriff der historischen Stadtrechte und der Wehrhaftigkeit einer Stadt. In einem Festgottesdienst wurde daher traditionsgemäss für Friede und Wehrkraft gebeten. Die Vereinsfahnen umsäumten links und rechts das Querschiff und bildeten nach der Feier am Ausgang ein farbenprächtiges Spalier. Dann gings im Umzug durch die Stadt zum grossen Marktplatz, wo die Tanzgruppen der Schützengilden ihre Volkstänze aufführten, wo die Pfeilenbogenschützen ein Schiessen für jedermann organisierten und wo die Fahnenschwinger einer anderen Gilde ihre choreografisch einstudierten Würfe zum Besten gaben. Natürlich gabs Festtische fürs gemütliche Zusammensein und ein Bänkelsänger erzählte den Besuchern mit schauspielerischen Einlagen Anekdoten aus der Stadtgeschichte. Und wir waren wieder mitten drin.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beinahe hätten uns unsere Nachbarn Maurits und Olga überreden können, mit ihnen in Oudenaarde zu überwintern. Es wäre uns wohl nicht schwer gefallen, wenn nicht Jenny und Bob bereits in Cergy auf uns warteten. Also trennten wir uns am 7. Oktober 2013 von diesem abwechslungreichen Ort und fuhren nach Doornik / Tournai, unserem letzten Halt in Belgien. Auf Anraten von Maurits legten wir dort am Kai vor dem "Pont des trous" an. An dieser Stelle müssen die Berufsschiffe ganz genau fahren, um unter dem mittleren Brückenbogen durchzukommen. Folglich drosseln sie ihre Geschwindigkeit und verursachen weniger Wellenschalg für die am Kai angebundenen Schiffe. Muss man wissen! Wir fanden dort auch gleich nebenan einen Stadtpark zum morgendlichen Joggen.

 

 

 

 

Welch ein Grössenverhältnis!

Hier in Doornik besuchte uns Olaf aus Antwerpen, der per Zufall in der Gegend zu tun hatte. Es war, wie wenn uns Belgien auf eine sehr persönliche Art verabschiete, bevor wir die Grenze ins Ausland, nach Frankreich, überfuhren.

 

 

 

 

An diesem Abend feierten wir mit einem feinen Nachtessen im Zentrum von Doornik das Ende unseres Verweilens in Belgien. Mit etwas Wehmut hiess es, nach einem ganzen Jahr Rundreisen und Entdecken, Begegnen und Erfahren, dem lieb gewordenen Land Belgien auf Wiedersehen zu sagen und morgen (9.10.2013) ins neue, uns noch weitgehend unbekannte Frankreich einzutauchen.

 

 

 

 

 

 

 

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 aktualisiert: 9.11.2013 / BG