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Besuch im Begijnenhof von Turnhout
am 18.4.2013

 

 

Nachdem uns Christine am 15.4.2013 ihre Freundin Peggy vorgestellt hatte und wir mit ein paar Äusserungen von ihr neugierig auf ihren Arbeitsort, das Begijnen-Museum, geworden waren, suchten wir dieses am 18.4.2013 auf und liessen uns ausführlich in die Welt der Beginen einführen. Peggy und ihre Arbeitskollegin erzählten uns spannend und bildend zugleich von dieser einzigartigen, von Frauen geführten wirtschaftlichen Unternehmungsform aus Zeiten, wo Handeln und Wirtschaften fast ausschliesslich dem Mann vorbehalten waren. Wir wollen uns darum etwas ausführlicher auf dieses Thema einlassen:

 

 

 

 

Der Begijnenhof (dt. Beginenhof) in Turnhout ist rund um 1300 entstanden. Er bot damaligen Frauen, die weder verheiratet noch Bedienstete noch Gesindel waren, eine geschützte und gesellschaftlich anerkannte Lebensumgebung in einer religiös geprägten Gemeinschaft, organisierte Arbeit und schuf damit eine wirtschaftliche Selbständigkeit, ohne dass die Bewohnerinnen ein lebenslanges Gelübde als Klosterfrau ablegen mussten.

Die Beginen besorgten gegen Entgelt für Klerus und Stadtbewohner die Wäsche, produzierten für den Markt Stickereien oder Stoffspitzen und buken für die Pfarreien der Umgebung die im Gottesdienst ausgeteilten Hostien. Sie waren Lehrerinnen oder pflegten Kranke.

 

 

Sie klöppelten und verkauften die fein gemachten Spitzen in der ganzen Welt. Nirgends sonst gab es so feine Handarbeiten. "Lierse Kanten" waren berühmt und wurden weitherum gehandelt .

 

 

Die Gründungspapiere des Begijnenhofes von Turnhout sind verloren gegangen. Doch mit dem Eröffnen von Begijnenhöfen in umliegenden Städten (Lier 1258, Herentals 1260, Hoogstraaten 1380) nimmt man an, dass der Begijnenhof von Turnhout auch in diese Zeit entstanden war. Die frühsten, noch vorhandenen schriftlichen Zeugnisse datieren von 1339. 1372 schenkte die Herzogin Maria van Brabant dem Begijnenhof die Freistellung von Steuern und andere Voorrechte. In seiner Blütezeit wohnten hier 300 Beginen. Aber diese Zeit dauerte nicht lange. Ein Brand verwüstete 1552 den gesellschaftlich und ökonomisch blühenden Begijnenhof und 1566 wurde er zusätzlich vom Bildersturm heimgesucht. Unter der französischen Besatzung von 1794-1815 war der Bestand der Beginen stark rückläufig. Die Besetzer wollten den Begijnenhof verkaufen. Dank Verhandlungsgeschick konnte ein Kompromiss für den Fortbestand erreicht werden, indem die Beginen von da an für ihre Wohnungen Miete bezahlen mussten. Um diese Zeit lebten noch 165 Beginen in Turnhout. Im  Jahre 1825 waren es gerade noch 60.

Noch einmal erlebte der Begijnenhof einen Aufschwung, als nämlich nach einer Lourdeserscheinung im Jahre 1858 in Turnhout 1876 eine Lourdesgrotte mit Kapelle erbaut wurde.

Mitte des 20. Jahrhunderts wohnten noch 10 Beginen in Turnhout. Im Jahr 2002 starb die letzte Begine von Turnhout, Johanna de Boer. Sie liegt begraben hinter der Kirche. Am 15. April 2013, also drei Tage vor unserem Besuch, war die letzte Begine von Belgien im Alter von 92 Jahren gestorben.

 

 

 

 

Was sind Beginen eigentlich? Sind es Nonnen?

Beginen sind Frauen, Begarden sind Männer, in einer Gemeinschaft ein christlich andächtiges Leben ohne Klostergelübde führen wollten. Es konnten auch Witwe/Witwer sein. Das Gemeinschaftsgelübde verpflichtete sie zwar zum Gehorsam und zu einem keuschen Lebenswandel, war aber nicht fürs ganze Leben. Der Austritt aus der Gemeinschaft war jederzeit ohne Nachteile möglich. Es war ein selbst bestimmter Lebenswandel und ein durch Arbeit selbst bestrittener Lebensunterhalt.

 

 

In religiösen Kreisen waren Beginen anfänglich nicht gern gesehene Menschen. Sie waren ja keine richtigen Nonnen. Sie wollten sich ihre Freiheit bewahren. So freiheitsliebende Menschen waren im Mitelalter suspekt. Sie hätten ja religiös abdriften und etwas anderes als die offizielle Verkündigung glauben können. Das Misstrauen endigte erst, als dem Begijnenhof ab 1431 ein Priester zugeteilt wurde, welchem die geistliche Führung der Einwohnerinnen oblag.

 

 

 

 

Im Museum sind ganz herrliche und kostbare kirchliche Gegenstände ausgestellt.

 

 

In diesem "Raadzaal" (Ratssaal) wurden Gäste empfangen oder Einwohnerinnen des Begijnenhofes zu Recht gewiesen.

 

 

Die Fussschemel vor diesen Stühlen konnten mit glühend heissen Kohlen gefüllt werden. Sehr willkommen für winterliches Arbeiten im Sitzen.

 

 

 

Um in den Sommerferien für Kinder interessante Museumsbesuche zu gestalten, fertigten die Museumsmitarbeiterinnen bereits im April aus Salzteig Beginen an, welche die Kinder dann mit Wasserfarben bemalen können.

 

 

 

 

Es gibt in Vlaandern 26 Begijnenhöfe. 13 davon wurden 1998 durch die UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Turnhout ist einer davon. Weitere zwei sind im holländischen Amsterdam und Breda.

 

 

 

 

Wir bewundern diese frühzeitliche, moderne und emanzipierte Lebensform, auch wenn der Stempel der männlichen Dominanz an vielen Ecken und Kanten durchdringt. Nicht nur die priesterliche Oberaufsicht war Männern vorbehalten. Nein auch die Produkte, welche von den Beginen hergestellt worden waren, mussten von einem Mann auf den Markt gebracht und verkauft werden. Und trotzdem: Die oberste Leitung des Begijnenhofes oblag einer Frau, die jeweils von der weiblichen Wohngemeinschaft gewählt wurde. Welch ein Privileg zu dieser Zeit !

 

 

 

 

 

 

 

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 aktualisiert: 22.8.2013 / BG