zum früheren Kapitel

zum Inhaltsverzeichnis

zum späteren Kapitel

 

 

Entdeckungen im Spielkartenmuseum
in Turnhout am 13. April 2013

 

 

Wo immer wir erwähnten, nach Turnhout zu fahren, empfahl man uns, dort das nationale Spielkartenmuseum zu besuchen. Gesagt - getan. Am Samstag nach dem Rundgang über den Markt begaben wir uns zum ehemaligen Fabrikationsgebäude, das nebst dem Spielkartenmuseum noch das Stadtarchiv und eine Leistungsschau der Firma "carta mundi" enthält.

Im Jahre 1826 schrieb Pieter Jozef Brepols in Turnhout Weltgeschichte. Er druckte hier nämlich die ersten Spielkarten in der westlichen Hemisphäre und verhalf damit beiläufig einer ganzen Papier- und Druck-Industrie auf die Sprünge.Turnhout avancierte zu einem der weltweit bedeutendsten Spielkartenhersteller der Welt und behielt diese Stellung dank dem Zusammenschluss mehrerer Herstellerfirmen zu "Carta mundi" bis heute. Kein Wunder also, dass 1969 gerade hier ein Nationales Spielkartenmuseum entstand. Der Besucher findet dort nicht nur eine umfangreiche Sammlung von Spielkarten aus allen Zeiten, sondern erfährt auch Näheres über die Entwicklung der Grafikindustrie in Turnhout. Im Blickpunkt stehen unter anderem die verschiedenen Herstellungstechniken, die mit dem beeindruckenden Park an Druckmaschinen noch stets vorgeführt werden können.

 

 

 

 

Ein Highlight der Ausstellung ist die grösste, 450 PS starke Dampfmaschine von Belgien, fein säuberlich restauriert und - mit Stromantrieb - noch in Bewegung zu sehen.

 

 

 

 

Die im Gebäude zentral situierte Dampfmaschine verteilte ihre Antriebskraft via eine ellenlange zentrale Antriebsachse über den ganzen Maschinensaal hinweg auf alle Antriebsräder der Druckpressen und -walzen.

 

 

 

 

Anhand der ausgestellten Druckmaschinen wurden wir in die verschiedenen Druckverfahren eingeführt. Die Industrielisierung der Druckindustrie verlief sprunghaft vom Drucken flach-auf-flach (Gutenbergs Buchdruckerpresse), rund-auf-flach und rund-auf-rund (Offset-Druckmaschinen). Je mehr Rundbewegungen eingeführt wurden, desto besser und effizienter konnte die Dampfkraft eingesetzt und damit der Durchsatz pro Stunde erhöht werden.

 

 

 

 

 

Wir begegneten greifnah einer Steindruck-Maschine (Lithografie), Druckmethode flach-auf-flach oder rund-auf-flach. Es war ein Erlebnis, die feine Oberfläche des Steins zu berühren und sich dabei vorzustellen, wie viele Holz- oder Linolschnitte durch seine höhere Druckbeständigkeit eingespart werden konnten, bzw. wie viel mehr vom gleichen Blatt gedruckt werden konnte. Kein Wunder, dass die Beschaffung der geeigneten Steinplatten zu einem lukrativen Handelszweig heranwuchs.

 

 

Bei den Ausstellungsobjekten waren jeweils erläuternde Flyers zu finden, die uns Druckerei-Laien auf leicht fassliche Art das nötige Rüstzeug zum besseren Verständnis des Gezeigten vermittelten. Hier links zum Beispiel die Erklärung der Lithografie, welche wir dank unseren holländischen Sprachkenntnissen in der rechten Spalte übersetzt wiedergeben:

Lithografie

Wasser und Fett stossen einander ab. Von dieser einfältigen Erfahrung macht der Steindruck Gebrauch.  Wenn du Wasser und Fett gegeneinander ausspielst, braucht die Druckform kein Relief mehr zu haben. Von daher der Name Flachdruck.

Zuerst wird der Text oder das Bild mit Fett auf die fein geschliffene Steinoberfläche geschrieben. Der Stein saugt das Fett ohne zu verfliessen in seine Oberfläche auf.

Danach wird der Stein mit Wasser getränkt. Das Wasser wird überall, wo kein Fett ist, vom Stein aufgesaugt.

Trägt man danach mit einer Walze eine Wasser abstossende Druckfarbe auf die Steinoberfläche auf, bleibt die Farbe an den Fettstellen kleben und kann auf allen wässerigen Stellen mit einem Schaber abgestreift werden. Der Stein ist bereit zum Drucken.

Papier darauf. Von oben pressen. Schon ist das Abbild übertragen.

 

 

Als F.G. König und A.F. Bauer anfangs des 19. Jahrhunderts die Idee umsetzten, mittels einem Druckzylinder das Papier über den kurz zuvor mit Walzen eingefärbten Druckstein abzurollen, war der Durchbruch zur Leistungssteigerung geschafft. Druck- und Rollbewegungen konnten mit Dampfkraft unterstützt viel schneller ablaufen als vorgängig in der von Hand betriebenen Buchdruckerpresse. Die Druckmethde rund-auf-flach war geboren. Die renomierte englische Zeitung "Times" war eine der ersten in der Anwendung dieses neuen Druckverfahrens.

 

 

 

 

In einem späteren Zeitpunkt führte die Erfindung des Offsetdruckverfahrens zu einem neuerlichen Leistungssprung und zum Druckverfahren rund-auf-rund. Mussten Farbdrucke früher für jede Farbe einen separaten Durchgang durch die Druckerpresse machen, konnten im Offsetverfahren die Farbwalzen hintereinander geschaltet und die Farbdrucke damit in einem Arbeitsgang fertiggestellt werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf den Spielkarten wollten die Käufer schon immer farbige Bildchen sehen. Mittels Schablonen mussten daher fleissige Frauen mit Pinseln die Bemalung von Hand vornehmen.

 

 

 

 

 

 

Klare Männder-Kraft-Arbeit war dagegen das Abschrägen der Spielkartenkanten. Mehrere Spiele wurden zusammen steif in eine Trommel eingespannt, die die vier Ecken zur Bearbeitung freilegte. Mit stechbeutelartigen Werkzeugen und viel Kraft wurden die Ecken der Karten abgerundet, manchmal sogar noch mit Goldschnitt veredelt.

 

 

 

 

 

 

Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Kartenspiele in Papier verpackt und vertrieben. Erst später im 20. Jahrhundert wuden hierfür schöne stabile Kartonschachteln produziert.

 

 

 

 

Christine, die Museumsaufseherin, war über unser Interesse an den Ausstellungsgegenständen sehr erfreut. Da wir zu diesem Zeitpunkt die einzigen Gäste waren, führte sie uns spontan durch das Museum und erzählte uns viele illustre Geschichten über die Spielkarten.

Spielkarten stammen ursprünglich aus China. Mit dem Fernost - Handel wurden sie auch nach Europa eingeführt. Chinesische Spielkarten waren auf ganz feinem Papier gedruckt. In Europa fragten die Spieler aber nach steiferen Karten. In Turnhout wurden daher Karten aus mehreren, zusammengeklebten Papierlagen entwickelt und damit so versteift, wie wir sie heute kennen.

Zwei bedruckte weisse Seiten zusammengeklebt ermöglichten es den Spielern, die Karten ihrer Gegenüber im Gegenlicht zu lesen. Welch ein Vorteil ! Doch die Kartenhersteller klebten flugs ein dunkel gefärbtes oder bedrucktes drittes Papier zwischen die mit den Spielkartensujets bedruckten Vorder- und Rückseiten und die Karte war im Gegenlicht nicht mehr lesbar.

 

 

Die durchsichtigen Karten eröffneten jedoch ganz unerwartet einen neuen, lukrativen Geschäftszweig. Als Zwischenblatt liessen sich Zeichnungen von leichten Weibsbildern einkleben. Während die herrschaftlichen Frauen ihre Männer nach dem Gastmahl beim Kartenspiel wähnten, konnten diese ungestört im Rauchzimmer die Spielkarten gegen das Licht halten und sich an den durchscheinenden Bildern ergötzen. Die Nachfrage nach solchen Produkten war im 19. Jahrhundert kaum zu befriedigen.

 

 

Im 2. Weltkrieg schafften es die Engländer, mit Zustimmung der Wehrmacht ihren von den Deutschen bewachten Kriegsgefangenen unverfängliche Spielkarten "zum Zeitvertreib" zuzustellen. Die Mittelschicht der Spielkarten enthielt Kontaktadressen und Fluchtwege eingedruckt. Die einzelnen Kartenschichten waren mit amoniaklöslichem Leim verklebt. Darauf pissen.... und schon konnte die gewünschte Geheiminformation freigelegt werden. Die Wahrmacht soll den Trick erst nach Kriegsende begriffen haben.

 

 

 

 

In solchen Kupferkesseln wurde der Leim mit allerlei stärkehaltigen Zutaten wie Kartoffeln oder Fischmehl angerührt. Kein Arbeitsplatz für empfindliche Nasen!

 

Spielkarten und Kalender?

Ein Spiel hat 52 Karten - das Jahr 52 Wochen.

Vier Spielfarben - vier Jahreszeiten.

52 : 4 = 13. Jede Farbe hat 13 Karten.

Ein Druckbogen hat Platz für 56 Kartenbilder. 1 Karte trug den amtlichen Spielkarten-Stempel (= Steuer bezahlt), die übrigen 3 Plätze boten Platz für Joker.

 

 

 

 

Unerwünschte oder wirtschaftlich nicht tragbare Kinder wurden früher bei wohlhabenden Bürgersfamilien auf die Türschwelle gelegt in der Hoffnung, dass sie durch Barnherzigkeit und Mitgefühl überlebten. Viele dieser Findelkinder landeten im Waisenhaus. Für den Fall, dass die leibliche Mutter später in bessere Lebensumstände geriet und ihr Kind zurückhaben wollte, legte sie dem Findelkind die eine Hälfte einer zerrissenen Spielkarte ins Windelpack. Wenn sie sich gegenüber der Waisenhausbehörde mit dem Gegenstück der Spielkarte ausweisen konnte, durfte sie ihr Kind wieder zurückholen.

 

 

Findlinge hatten keine Namen. Die Waisenhauskommission teilte ihnen üblicherweise unübliche Namen zu, womit sie ihr ganzes Leben lang als Findelkind gekennzeichnet waren. Sie wurden auch gegenüber den ordentlichen Waisenkindern benachteiligt, stammten diese doch aus bekannten und geordneten Familien und waren ohne ihr Verschulden Waise geworden.

 

 

Zum Beispiel holten die Fabrikbesitzer mit Dampfmaschinen regelmässig zuerst Findelkinder zum Reinigen ihrer Dampfkessel, worin sich beim Erhitzen des Wassers Kalk und andere Stoffe abgelagert hatten. Diese unerwünschte Schicht behinderte den Wärmeübergang zwischen Feuerraum und Wasserkessel und musste daher regelmässig weggekratzt werden. Angesichts der engen Rohre eigneten sich schmächtige Jungen bestens für diese Arbeit und brachte dem Waisenhaus ein paar Batzen ein.

Auch beim Förderband (parallel umlaufende Stahldrähte) durch den auf 80° C. erhitzten, langen Tröcknungskanal kamen immer wieder Kinder zum Einsatz. Sie mussten die vom Förderband herabgefallenen, frisch verleimten Kartenbögen aufs Band zurücklegen. Das Waisenhaus erhielt dafür einen Obolus.

 

 

Mit Karten wurde nicht nur gespielt. Auch Lampen und Kleider konnten mit Spielkarten dekoriert werden, ganz zu schweigen von den Wahrsagerinnen, die aus Spielkarten die Zukunft vorhersagten.

Turnhout verschickt seine Spielkarten in die ganze Welt. Die Karten im James Bond Film "Casino Royal" wurden auch in Turnhout produziert. Der Konzern - Name des heutigen Spielkartenherstellers heisst "carta mundi".

 

 

 

 

 

Christine, unsere spontane Führerin und amusante Kommentatorin durchs Spielkartenmuseum, durften wir zwei Tage später, am 15. 4.2013, zusammen mit ihrem Gatten Erik und ihrer Freundin Peggy bei uns an Bord von Dagens 2 zu einem Kaffee begrüssen und ein paar gemütliche Abendstunden verleben. Wir bedankten uns nochmals herzlich für die interessanten Ausführungen im Museum, die uns diesen Besuch so interessant gestaltet hatten. Unsere Erinnerung daran wird immer mit Christine verbunden bleiben.

Über ihre Freundin Peggy knüpften wir am selben Abend den Plan, das Museum vom Begijnenhof in Turnhout noch besuchen zu gehen. Peggy arbeitet dort als Aufseherin. Am 18.4.2013 setzten wir auch dieses Vorhaben um.

 

 

   zurück zum Seitenanfang

 

 aktualisiert: 14.5.2013 / BG