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Der erste Tag des Monats Dezember bot Gelegenheit, wieder einmal systematisch den Vorrat aufzufüllen, die Kajüten sauber zu machen und noch einmal einen Zwiebelkuchen zu backen. Denn am Abend wurde Marianne aus der Schweiz erwartet. Wiederum durften wir die Dienste von Fons ins Anpruch nehmen. Er fuhr uns mit seinem Auto nach dem Flughafen Schiphol, wo wir Marianne planmässig in Empfang nehmen durften. Nach kurzer Autofahrt zurück nach Kudelstaart konnten wir sie auf Dagens 2 willkommen heissen. In ihrem Gepäck brachte Marianne direkt vom Berner Zibelemärit einen wunderschönen Zwibelezopf mit, welchen wir an prominenter Stelle über dem Kochherd aufhängten und dekorativ zur Geltung brachten.

 

 

Bernadettes Geburtstag

Der folgende Tag begann mit einem frühmorgenlichen Kuss für Bernadette. Es war ihr Geburtstag. Bei einem gemütlichen Brunch-Zmorge feierten wir dieses Ereignis. Marianne hatte einen Adventskalender mitgebracht, welcher eine Farbzeichnung der Berner Marktgasse abbildet, in deren Laubenbögen, Hausfenstern und Brunnenstandbilder täglich ein Fensterchen mehr zu öffnen war. Dazu überbrachte Marianne ein Geschichtenbuch von Franz Hohler mit dem Titel "Der Stein". Dies war eine freudige Überraschung.

 

 

Franz Hohler

Wir hatten nämlich in den Tagen zuvor von unseren Haarlemer Freunden eine CD zu hören erhalten. Darauf war das Solo-Programm aus dem Jahr 1985 "Der Flug nach Milano" von Franz Hohler aufgezeichnet. In einem seiner Programmpunkte beschreibt er, wie die Berge von Holland in die Schweiz kamen - "Hoe de berge n' Zwitserland kwamen". Franz Hohler war uns daher sehr präsent und sein Geschichtenbuch "Der Stein" fand kurzum eine interessierte Leserin.

 

 

Natürlich hatte Bernadette an diesem Tag auch ein übervolles Mail-Postfach mit Gratulationsbotschaften zu bewältigen.

Am Nachmittag fuhren wir zu Dritt per Bus nach Amsterdam. Bernadette und Marianne bummelten genüsslich durch die Geschäftsstrassen, während Heinz beim Allard Pierson Museum en Bijzondere Collecties eine fesselnde Sonderaustellung über die Entdeckung des Menschen besuchte. Darin wurde anhand von Büchern, Drucken, Modellen, Präparaten und Portraits von Wissenschaftlern die Geschichte der menschlichen Neugier, das Innere des eigenen Körper und dessen Funktionieren kennenzulernen, vom späten Mittelalter bis zur Gegenwart beschrieben. Roter Faden durch diese Ausstellung über Anatomie war die Frage: Ist der menschliche Körper eine perfekte Schöpfung von Gott oder eine geniale Maschine? Erwartungsgemäss und dem aktuellen Wissensstand entsprechend musste die Ausstellung trotz ihrer reichhaltigen Anschaulichkeit die Grundfrage der Beziehung zwischen menschlichem Körper und seinem Geist offen lassen. Trotzdem war sie ein herausfordernder Exkurs in ein spannendes Fachgebiet und dessen geschichtliche Entwicklung.

 

 

'Spierenman', uit: Andreas Vesalius, De humani corporis fabrica, 1543

'Spierenman', uit: Andreas Vesalius, De humani corporis fabrica, 1543

 

 

Das "Winkelen" [winkel = Geschäft] in Amsterdam und der Ausstellungsbesuch weckten nach bestimmter Zeit gewisse Hungergefühle, wodurch sich die Schritte von uns Dreien wieder annäherten und nach einem Lokal mit kulinarischem Angebot ausrichteten. Im Restaurant Mai Thai *) erholten wir uns bei schmackhaften indonesischen Spezialitäten zu modesten Preisen und schöpften Kraft für die nachfolgende Busfahrt zurück nach Kudelstaart. So endete ein abwechslungsreiches Geburtstagsprogramm.

*) Restaurant Mai Thai an der Korte Leidsedwarstraat 99 in 1017 PX Amsterdam (Tf 020 623 42 59 / 064 134 09 22 /
   
bchowdhury03@gmail.com)

 

 

Konzert der Marinierskapel der Koninklijke Marine in Haarlem

 

 

Am Samstag, 3. Dezember 2011, war windiges und stürmisches Wetter, gerade so richtig für einem häuslichen Tag mit Stricken und Lesen auf dem warm geheizten Schiff. Trotzdem wagten wir uns gegen Abend raus und fuhren per Bus mit unserem Gast Marianne nach Haarlem, wo im Philharmoniegebäude die Militärkapelle der königlichen Marine ein abwechslungsreiches Gastspiel gab. Die aus vielen Auftritten auch im Ausland bekannte Kapelle ist eines der grössten und vielseitigsten Blasmusikorchester der Niederlande, die hier in Haarlem einmal mehr dem Fan-Publikum ihr Bestes vorstellten: Nach einem ersten, klassischen Programmteil und verblüfffenden Klangeffekten einzelner Solistren liess die Kapelle nach der Pause ihren Big Band Sound erklingen. Zur Vielseitigkeit des Programms trugen auch die Sängerin Josee Koning und die Flyingdutchman Jazzband bei, welche in Begleitung oder im Wechsel mit dem Big Sound der Marinierskapel Proben ihres Könnens zum Besten gaben.

 

 

Marinierskapel der Koninklijke Marine

Marinierskapel der Koninklijke Marine

 

 

Sängerin Josee Koning

Josee Koning

Flyingdutchman Jazzband

Flyingdutchman Jazzband

 

 

Der Sonntag, 4. Dezember 2011, war bereits wieder der letzte Tag von Mariannes Aufenthalt an Bord von Dagens 2. Die Musik vom Vorabend klang noch in unseren Ohren nach, als wir am Ende eines erholsamen Schlafes zum Morgenbrunch schritten. Wir begleiteten Marianne zum Flughafen. Wenn auch nur kurz, so atten wir mit ihr doch eine intensive, abwechslungsreiche und an ausgetauschten Gedanken reiche Zeit mit ihr verbringen dürfen. Während sie in die Schweiz zurück flog, begaben wir uns per Bahn nach Amsterdam Centraalstation und besuchten die Gemälde-Sonderausstellung "Rubens, van Dyck und Jordaens" im Museum Hermitage, einem Tochterhaus des gleichnamigen Kunstmuseums Eremitage in Sankt Petersburg. Sowohl das Museumsgebäude mit dem grosszügigen Innenhof wie auch die Ausstellung haben uns fasziniert und obwohl wir im Schiff kaum mehr Platz für Bücher finden, haben wir den mit prächtigen, grossformatigen Abbildungen bestückten Ausstellungskatalog gekauft, um bei einem Anfall von Lust in aller Ruhe mit den Augen in diesen prachtvollen Bildern spazieren zu gehen.

 

 

Kunstmuseum Hermitage in Amsterdam

 

 

Montag, 5. Dezember 2011: Wir lagen in diesem Winter zum zweiten Mal in Kempers Jachthaven in Kudelstaart. Die Entdeckerlust, mit welcher wir noch mehr von Eruopa kennen lernen wollten, liess unsere Gedanken ausschweifen und Möglichkeiten für einen Standort im kommenden Winter prüfen. Nachdem uns in der vergangenen Fahrsaison so viele "Wohnschiffer" begeistert von ihrem Aufenthalt in Antwerpen geschwärmt hatten, beschlossen wir, dort einen Augenschein zu nehmen. Erneut waren es Fons und Marian, die diesem Ansinnen zum Durchbruch verhalfen und uns einen gemeinsamen Ausflug nach Antwerpen mit ihrem Auto vorschlugen. Beim Morgenkaffee besprachen wir mit Fons die Details für unsere auf Samstag vereinbarte Reise. Ähnlich wie Ferienwohnungen in beliebten Skigebieten sind auch Winterstandplätze für Bootsfahrer mit Vorteil ein Jahr zum voraus abzusprechen.

Zur reichhaltigen Erbsensuppe waren Rien und Donna am Abend unsere Gäste, wozu sich nach der Mahlzeit noch Netty und Cees Jan gesellten: Schon waren wieder sechs Spielfreudige beisammen und das Spiel Brandy Dog auf dem Tisch.

Der 5. Dezember ist in Holland ein äusserst wichtiger Tag. Es ist Nikolaustag und Kinder-Bescherung. Seit der Ankunft des heiligen Sinterklaas mit seinen schwarzen Piets aus Spanien am 13. November haben Gross und Klein auf diesen Familienfeiertag hin gearbeitet. Geschenke erhalten nicht nur die Kinder. Begleitet werden die Gaben mit einem lustig-schnippischen Vers, so einer Art persönlich gemünzter Schnitzelbank. Mit einer Prise Humor verpackt, werden so die erzieherischen Fingerzeige des Sankt Nikolaus überbracht. Gesellig! Und Schmutzli mit der Rute fällt ausser Programm.

 

 

Dienstag, 6. Dezember 2011: Donna hatte diese Woche im Rahmen ihrer Einbürgerung Prüfungen zu bestehen, was uns veranlasste, jede Gelegenheit zu nutzen, mit ihr auf holländisch Gespräche zu führen. Das Prüfungsfieber erfasste die ganze Gemeinschaft am Bootssteg und wir fieberten mit ihr zusammen dem Prüfungsresultat entgegen. Es war, als fieberte das Wetter mit uns, denn starke Winde und Böen peitschten das Wasser über den Bootssteg an die Fensterscheiben, so dass wir uns manchmal fast in die Situation versetzt fühlten, wie man sie im Innern des Autos erlebt, das durch die Waschanlage geschoben wird.

Trotzdem wagten wir uns am Mittwoch per Bus nach Haarlem, um Weihnachtsgeschenkli und Kartonschachteli zu kaufen, in welchen wir die selbst gebackenen Weihnachtsguetzli in die Schweiz senden wollten. Als wir in dieser Stimmung bei unsern Freunden Rosemarie und Rinze Marten in Haarlem reinschauten, war es so richtig heimelig. Rosmarie buck gerade Mailänderli, deren Duft uns bereits im Eingang entgegen schwebte. Kerzen brannten in der Stube. Schöne Weihnachtsmusik erfüllte den Raum. Was gibt es Schöneres?

Doch der Tag hatte noch weitere Überraschungen für uns bereit. Zum Nachtessen überraschte uns der Koch im Restaurant Swoel in Haarlem mit einer köstlichen Kohlrabi-Suppe mit rahmigem Schaum, welcher durch Ingwer und Zitrone abgeschmeckt waren. Darauf folgte ein zarter Fisch auf einem Gemüsebeet. Genau die Stärkung, die wir brauchten, um uns danach in die Stadsschouwburg zu begeben.

Dort hatten wir uns frühzeitig Eintrittsbillette für die Aufführung von Carmen als Ballett gesichert. Als Oper hatten wir dieses mitreissende Werk von George Bizet bereits früher einmal im Theater, danach im Kino als U-Carmen des in Südafrika lebenden britischen Theater- und Opernregisseurs Mark Dornford-May und auch als Spezialsendung des Schweizer Fernsehens aus dem Berner Gäbelbach-Quartier gesehen. Jedoch als Ballett? Das war für uns ein Erstling. Nachdem wir uns optisch daran gewöhnt hatten, dass die agierenden Figuren auf der Bühne nicht sangen und demnach auch nicht an die bestimmten Singposen gebunden waren, erlebten wir ein zweistündiges, sinnlich-genüssliches, teils zierliches, teils akrobatisches Bewegungsspiel voller Ausdruckskraft und Erotik, welche der Musik in nichts nachstand.

Glücklich, zufrieden und müde liessen wir uns vom Connexion-Bus wieder nach Kudelstaart zurück fahren. Umwerfend, was alles in einem einzigen Tag Platz findet!

 

 

Mittwoch, 7.12.2011 bis Freitag, 9.12.2011: Nicht jeder Tag kann so dicht an Erlebnissen sein wie der Gestrige. Dafür durchzogen in diesen Tagen die mannigfaltigsten Düfte vom Güetzelen unser Boot. Draussen stürmte und regnete es im Wechsel. Da gab es zwischen Backstuben-Betriebsamkeit auch gemütliche Momente, wenn Schiffnachbarn zum Kaffee hereinschauten oder Netty und Cees Jan zu einem Abendschoppen auf die "Lange Beer" einluden.

 

 

Entdeckungsfahrt nach Antwerpen

Samstag, 10 12. 2011: Der am Montag abgesprochene Reisetag begrüsste uns kalt, aber mit schönstem Sonnenhimmel. Wir fuhren mit Fons und Marian in ihrem Auto in gut zwei Stunden nach Antwerpen, direkt zum Jachthaven Willemdok. Remo, einer der drei Hafenmeister, hatte an diesem Samstag Dienst. Er hiess uns herzlich willkommen und zeigte sich sehr gesprächsfreudig, war er doch just zum zweiten Mal Grossvater geworden und darüber sehr glücklich. Nebst der Anmeldung für den Liegplatz im Winter 2012/2013 informierte er uns, wie wir vorgehen mussten, um eine belgische Fiskalnummer zu erhalten, die wir bei der Einfahrt nach Belgien dereinst an der ersten Brücke oder Schleuse nach dem Grenzübertritt bekanntzugeben hatten. Ausserdem fanden wir im Hafenbüro ein wunderbares Handbuch mit allen Informationen und Karten für die Schiffahrt auf belgischen Binnengewässern. Dieses Buch sollte uns eine wertvolle Stütze bei unserer Reiseplanung und beim Befahren belgischer Wasserwege werden. Der Hafen besteht aus einem vielarmigen Schwimmsteg, welcher die Pegelstandsveränderungen der Schelde mitsamt den daran angebundenen Boote mitmacht. Der Steg ist durch ein Tor mit Schliesssystem gesichert und dank Rampen stufenfrei zugänglich. Neben Waschmaschinen und Trockner, WC-Anlagen und Duschen steht auch ein PC-Arbeitsplatz und ein WiFi-Netz den Hafenbenützern zur Verfügung. Alles, was das verwöhnte Schiffer-Herz an einem Hafen begehrt. Einzig der Sonnenschein dürfte im Winter rar werden. Das am Rand des Hafens hoch aufragende Bibliotheksgebäude mit Restaurant dürfte im kommenden Winter wohl einen vermehrten Zuspruch erfahren.

Antwerpen - Jachthafen Willemdok ( Abbild aus Google Earth)

Vom Hafen aus war das Zentrum von Antwerpen in ein paar Gehminuten zu erreichen. Fons und Marian mit ihrer Ortskenntnis zeigten uns den kürzesten Weg zur besten Stadtbäckerei (wichtig für Zmorge-Gipfeli), zum freien Gemüse-Markt, den wichtigsten Museen, Konzert- und Theaterlokalen und zum Bahnhof.

Antwerpen (Abbildung aus Google Earth)

Nach einem Mittagslunch durchstreifen wir den ausgedehnten Weihnachtsmarkt rund um die grosse Kirche und spazieren unter den wärmenden Sonnenstrahlen der Schelde entlang zum Jachthafen zurück. Diese Erkundungstour hat uns vor Augen geführt, wie zentral wir im kommenden Winter in Antwerpen liegen werden und wie angenehm es sein wird, nach dem Konzert oder dem Theater nicht mehr auf den Bus warten zu müssen, sondern innerhalb einer Viertelstunde das eigene Bett zu erreichen.

Gutgelaunt auf Stadtbesichtigungstour

 Gut aufgelegt

Antwerpen, Bahnhofshalle

Centraalstation Antwerpen: Bahnhofshalle

Bahnhofhalle Antwerpen

 Bahnhofshalle

Weihnachtsmarkt in Antwerpen

Auf dem Weihnachtsmarkt in Antwerpen

Auf dem Heimweg machten wir nordöstlich von Rotterdam beim Sohn von Marian und Fons einem kurzen Zwischenhalt, um ihren Hund Dobbey aufzuladen, der dort während unseres Ausfluges nach Antwerpen freundlicherweise gehütet worden war. Beim gemeinsamen Nachtessen auf Dagens 2 beendeten wir den aufschlussreichen Tag, der uns neben einer gemütlichen Reise durch viele holländische Landschaften die erstmalige Begegnung mit Antwerpen gebracht hatte, einer weiteren Weltstadt auf unserer Erlebnisfahrt durch Europa.

 

 

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