Dagens 2 - Tagebuch

 

 

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Fahrt von Gouda nach Leiden

21. September 2010

Wir hören im Bett, dass es aufs Dach tropft. Regnet es jetzt immer noch? Nein, aber Nebelschwaden sitzen in den Bäumen über uns und lassen es heruntertropfen. Es ist ziemlich frisch. Wir stehen auf, denn nach dem Sattelitenbild gibt es heute prächtiges Wetter. Wir starten im Alpaca-Pulli, den uns Peter und Esther vor Jahren aus Peru mitgebracht haben, und im Faserpelz. Vor Antritt der Fahrt möchten wir gerne als Navigationshilfe das PC-Navigo starten. Aber es will unter keinen Umständen mit dem Satellitensignal zusammenarbeiten. Wir versuchen alles, aber es geht einfach nicht. Nun zücken wir halt wieder unsere bewährten Wasserkarten und fahren damit los. Aber auf der Karte ist alles so klein geschrieben. Wir müssen mit der Lupe lesen. Die Brücken folgen in relativ kurzen Abständen. Es wäre schon praktisch, mit dem PC-Navigo arbeiten zu können. Wir werden noch etwas üben müssen.

Die Fahrt über die Gouwe nordwärts beginnen wir mit pochendem Herzen. Immerhin fahren wir durch holländisches Sprachgebiet, ohne die Sprache zu verstehen geschweige denn zu sprechen. Schon gar nicht am Funk. Wir versuchens mit Englisch. Auch nicht gerade routiniert, vor allem wenn wir zwischen den englischen Tätigkeitswörtern noch die holländischen Ortsnamen einflechten müssen. In Ermangelung eines phonetischen Niederländisch-Wörterbuches intonieren wir die Ortsnamen eher intuitiv und merken an der Reaktion der Gegenstation, dass wir mit unserer Aussprache wohl voll daneben gelegen sind. Nach der ersten Schleuse und den ersten Zieh- oder Dreh-Brücken mit englisch gesprochener Voranmeldung über Funk entspannen wir uns und es geht alles gut.

In der schmucken Ortschaft Alphen a/d Rhijn machen wir einen Mittagshalt. Wir versuchen noch einmal, das PC-Navigo mit dem Satellitensignal-Empfänger zu versöhnen. Na, es geht ja....wunderbar! Die Sonne scheint sommerlich warm und wir geniessen das Fahren auf dem Oude Rijn, die Umgebung und einfach alles. Nun aber ist es am Steuerstand so hell, dass wir auf dem Navigations-Bildschirm fast nichts mehr erkennen können. Doch wenigstens können wir ohne Lupe die Durchfahrtshöhen der nächsten Brücken und die benötigten Funkkanäle für die Voranmeldung ablesen. Im Unterschied zu unseren Frankreich-Erfahrungen bestimmen hier in Holland die Brücken, nicht die Schleusen das Fahrprogramm.

Gelb-schwarze, holländisch beschriftete Hinweistafeln am Ufer künden eine Unregelmässigkeit auf unserer Fahrrinne an. Aber wir verstehen ihren Inhalt nicht. Doch dann kommt das rot-weiss-rote Schiffahrtssignal "keine Durchfahrt". Also stimmte die im PC-Navigo angekündigte Routensperrung doch. Wir wenden vorsichtig unser Boot und suchen auf der Rückfahrt einen Anlegeplatz. Keine leichte Sache. Fast alle Ufer sind "privé terrein". Erst beim übernächsten Dorf finden wir eine offizielle Anlegestelle.

    

Von dort aus fahren wir mit den Velos wieder dem Kanal entlang vorwärts, um zu erkunden, warum wir zu Wasser nicht mehr weiterfahren können. Es ist die Autobahnbrücke über den Kanal, welche saniert wird. Ein Baukran auf Ponton schwimmt auf dem Wasser und sperrte die Fahrrinne. Im Baubüro meinte man aber, dies sei kein Problem. Wir sollten einfach auf der Gegenfahrrinne die Autobahnbrücke unterfahren. Aha - uns geht ein Licht auf! Darum haben wir bei der ersten Anfahrt mehrfach Schiffe begegnet, und keines der Schiffe, die uns überholt haben, ist wieder von der Baustelle zurückgekehrt. Die etwas enge Baustellendurchfahrt klappt, trotz Sperr-Signalisation. Inzwischen ist es schon 18 Uhr. Die nächste Brücke kommt in Sicht. Der Brückenwärter, nach anfänglichem Zögern, hat Erbarmen mit uns und er lässt uns noch durch. Wir waren in Leiderdorf angekommen. Noch 2 km und zwei Hebe-Brücken trennten uns von unserem Reiseziel, dem Passantenhafen Leiden. An einer für grosse und hohe Schiffe vorgesehene Anliegestelle in einem ruhigen grünen Vorortsquartier können wir über Nacht festmachen und uns von unserem ersten Reisetag ohne Mentor erholen.

Ein abendlicher Spaziergang entlang von unbekannten Grachten mit vielen anliegenden Wohnschiffen lässt uns die Stadt Leiden erstmals beschnuppern. Später haben wir anhand des inzwischen beschafften Stadtplanes gemerkt, wie nahe wir bereits den Stadtzentrum waren.

22. September 2010

Weiterfahrt nach Leiden. Wir passieren die zwei Hebe-Brücken in kurzer Zeit und dürfen im Hafen von Leiden an einer kleinen Insel unter Kastanienbäumen festmachen. Die Insel, ein Spazier- und Spielpark, ist über eine kleine Brücke nur für Fussgänger zugängig. Wir haben einen Liegeplatz mit Strom, aber ohne Wasser.

    

Bei der am Hafeneingang liegende Schrijversbrug begleichen wir die Hafenliegegebühr und decken und mit Jetons für die Stromzufuhr ein. Der Hafen liegt am Südostende der Altstadt, die mit dem Velo zu entdecken, wir umgehend aufbrechen. Auf dem Markt decken wir uns mit Gemüse und Früchten ein. Zwei Hotelboote liegen am anderen Ufer des Hafenkanals. Schulklassen oder Gruppen von Erwachsenen machen darauf Ferien. Tagsüber sind die Passagiere mit den Fahrrädern unterwegs, nachts fährt das Boot dann zum nächsten Ort.

Aufenthalt in Leiden

23. September 2010

Joggend erkunden wir unsere Umgebung. Wir waschen und machen den Haushalt. Spaziergänger mit Hund bestaunen vom Parkweg aus unser Boot. Auf der Terrasse erleben wir den zu Ende gehenden sonnigen Tag. Von der Terrasse aus können wir am gegenüberliegenden Ufer mitverfolgen, wie eine Schulklasse vom Hotelschiff in den abendlichen Ausgang aufbricht. Mädchengruppen werden von sportlichen Jungen mit Ball umspielt. Wie es sein muss, entwischt der Ball dem Fänger und fällt in den Hafenkanal. Hopla! Wie kommt der Ball an Land zurück. Einer springt zum Hotelschiff zurück und holt eine Stange. Vergeblich, der Ball entfernt sich immer mehr vom Ufer. Normalerweise kommen in regelmässigen Abständen kleine Touristenbooten auf Stadtrundfahren vorbei. Nicht aber jetzt. Hoffend warten, nützt nichts. Nun bleibt nur noch die Schwimm-Lösung. Einer der Jungs macht sich bereit, in den Kanal zu steigen. Zaghaftes Ertasten der Wassertemperatur mit dem Fuss voran. Au weia - kühl. Ein Mädchen holt vorsorglich ein Frottiertuch im Schiff. Also hopp - drin ist er. Der Ball ist rasch gerettet. Über den steilen Kanalrand heraufgezogen zu werden, ist für den abgekühlten Jungen ein zappeliges Abenteuer. Zur Wiederholung des ganzen Schauspiels kommt es, weil ein Lagerleiter überraschend den Ball wieder in den Kanal fallen lässt. Nochmals springt der Junge ins kalte Nass und rettet den Ball definitiv. Er ist der Bewunderung durch die Klassenkameradinnen sicher, auch wenn er nach Trockenschrubben mit etwas Verspätung zum Abendschoppen erscheint. Klar: nach der kühl-nassen Rettung des Balls erscheinen die Rundfahrtboote wieder auf dem Hafenkanal, während der Vollmond hinter den Bäumen heraufzieht.

   

24.September 2010

Joggen. Wir besuchen das Museum De Lakenhal. Leiden hatte schon früh im Mittelalter ein blühendes Woll- und Tuchgewerbe. Nicht verwunderlich, dass zahlreiche Ausstellungsgegenstände aus dem Bereich der Wollkarderei, Spinnerei und Färberei stammen. Der Absatz der gewobenen Tücher war durch die Tuchhändler beherrscht. Tuch/Stoffe = Laken. Handelshalle = Hal: De Lakenhal. Das Gebäude mit seinen grossen Räumen beherbergt neben den gewerblichen Ausstellungsgegenständen heute die Kunst-Sammlung der Stadt. Der hier geborene Rembrandt van Rijn steht immer wieder als Mittelpunkt oder Referenz im Raum. Wir geniessen für einmal das sorglose Unterwegssein als Tourist.

25. September 2010

Es ist kalt. Wir machen trotzdem eine Stadtbegehung (Stadswandeling) mit. Spannend, wie diese 117‘000 Einwohner leben. Wir haben bis jetzt vom Trottoir aus nur immer, natürlich ungewollt, in ihre Wohnräume oder Küchen sehen können. Aber wenn man in die Innenhöfe gucken darf, sieht es wie in Italien aus. Gemütlich, ruhig, viele Grünpflanzen, wohnlich, einladend und das mitten in einer Grossstadt.

Im Jahr 1572 schloss sich Leiden dem holländischen Aufstand gegen die spanische Vorherrschaft an. Daraufhin wurde es von den Spaniern 1 ½ Jahre belagert. Die Stadtbewohner litten unter einer grossen Hungersnot und unter Krankheiten. Am 3. Oktober 1574 wurde Leiden vom Prinzen von Oranien entsetzt. Die Spanier flohen und der hungerleidenden Bevölkerung wurde Nahrung verteilt. Dieser 3. Oktober wird heute noch gefeiert, mit einer grossen, abwechslungsreichen Erinnerungsveranstaltung und abschliessendem Feuerwerk.

In der Petrus-Kirche, die nicht mehr als Pfarrkirche einer Gemeinde genutzt wird, finden grosse Veranstaltungen wie Diplomierungen der Universität, Konzerte und grosse Bankette statt. Jedes Jahr wird am 3. Oktober in dieser Kirche der Gottesdienst in Erinnerung an die Befreiung von der Belagerung durch die Spanier 1574 und in Erinnerung an die Befreieung Hollands von der deutschen Besetzung im 2. Weltkrieg gefeiert.

26. September 2010   (Sonntag)

Es ist regnerisch und wir lesen und richten die Website ein. Ab und zu klatschen reife Kastanien auf unser Boot nieder. Auf dem metallenen Deck tönt das fast wie Kegeln. So erleben wir den Herbst hautnah.

 

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